Wir sind keine Kaninchenart

■ betr.: „Nichts für Freunde der Zell haufentheorie“, (Ronald Dwor kin: „Die Grenzen des Lebens“), taz vom 20.8.94

Es hat wenig Sinn, dem „menschlichen Leben“ an sich, das heißt ohne Angabe seines je konkreten Zustandes, „Wert“, „Heiligkeit“ zuzumessen. Entscheidend für die Reproduktion menschlichen Lebens ist meines Dafürhaltens der (freie!) Wille der sich zur Reproduktion Entschließenden. Eine Selbstreproduktion der Spezies an den Individuen vorbei (bionomer Zufall der Befruchtung) ist unzumutbar und menschenunwürdig. Wir sind keine Kaninchenart.

Jeder ist Eigentümer seines Genoms, das ihm kein Staat, keine Kirche, keine Gesellschaft enteignen darf: ein ungewollt entstehender Embryo ist die Usurpation zweier Genome, die nur durch den Tod des Usurpators wiedergutgemacht werden kann. Niemand ist ja zur Selbstreproduktion zu verpflichten, auch nicht von einem Naturzufall von Befruchtung. Weil andererseits niemand ein Recht auf Gezeugtwerden hat, hat niemand auch ein Recht auf Geborenwerden. Man kann sogar argumentieren (siehe M. Neuffer, Nein zum Leben), daß „jedermann“ ein Urrecht auf Nichtgeborenwerden im Sinne von Nichtsterbenmüssen hat, von den sonst noch mit jedem Leben verbundenen Leiden ganz zu schweigen. Insofern ist jede Zeugung auch unumgehbare Tötung des erzeugten Lebens. Das Recht dazu wird kaum je plausibel begründet.

Bewußte Wesen unrettbar dem Tode auszuliefern ist aber zweifelsfrei schlimmer und unmoralischer, als dasselbe noch nicht des Bewußtseins Fähigen anzutun. Menschliches Leben „entwickelt sich“ übrigens nie und in keinem Falle selbst zu personalem Leben, sondern nur, wenn es sprachlich- geistig und affektiv dazu erzogen wird, das heißt anthropogen, nicht biogen. Daher führt ein bloßes Am-Leben-Halten des Embryos nie zu einem Menschenwesen, sondern höchstens zu einem Monster. Biologistische Argumente vom „Leben an sich“ taugen also nicht. [...] Guido Kohlbecher,

Neustadt/Wied