■ Der Fall „Care Deutschland“ – oder: Ruanda-Hilfe zwischen Spendenmarketing und Professionalität
: Ein neuer Zielkonflikt

Die Nachrichten aus Ruanda über den mit großem Werbeaufwand von Care Deutschland inszenierten Einsatz freiwilliger Ärzte und Krankenpfleger in den Flüchtlingslagern von Goma und Bukavo sind zwar noch widersprüchlich und voll von gegenseitigen Schuldzuweisungen aller Beteiligten. Doch hat das von viel gutem Willen getragene Projekt mit professioneller humanitärer Hilfe zweifellos wenig zu tun.

Von den 266 Mitgliedern der ersten Einsatzgruppe kann nur knapp die Hälfte derzeit sinnvoll zur Hilfe in den Lagern eingesetzt werden. Darüber und über die Organisation des Projektes ist es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Helfern und Einsatzleitung, aber auch zwischen Care Deutschland und anderen Hilfsorganisationen vor Ort gekommen. Care ließe die Meldung verbreiten, einige Helfer seien den hohen psychischen Anforderungen angesichts des Leidens der Menschen in den Lagern nicht gewachsen.

Von ersten Rückkehrern wissen wir nun auch um die völlig mangelhafte logistische und medizinische Ausstattung des Projektes. Care Deutschland setzt dem die „Erfolgsmeldung“ von bereits 40.000 durch seine Teams versorgten Flüchtlingen entgegen, verspricht organisatorische Besserung und hält den Projektansatz nach wie vor für sinnvoll und effektiv.

Wir dürfen nicht nur verwundert sein über die Blauäugigkeit der Verantwortlichen bei Care Deutschland, sondern müssen uns fragen, was eigentlich los ist mit unserer humanitären Hilfe und wie hier mit Spendengeldern, gutem Willen und der Anteilnahme unserer Mitbürger umgegangen wird.

266 Menschen, die sich vorher nicht kannten, nie zusammen gearbeitet haben und ihrer Organisation nur durch ihre freiwillige Bereitschaft zur Mitarbeit verbunden sind, können als Einsatzgruppe kaum gesteuert werden. Unter den immer extremen Bedingungen in akuten Katastrophenlagen mit erheblichen psychischen Belastungen werden sie zu einer kritischen Masse, die eine eigene und unberechenbare Gruppendynamik entwickelt. Diese Dynamik zeichnete sich bereits bei dem unfreiwilligen Zwischenstopp in Kairo ab, als die Frage der Reparatur des Flugzeugs oder der Forderung nach einer Ersatzmaschine die Gruppe zu spalten drohte.

Die gruppendynamischen Probleme werden neben dem Katastrophenelend auch durch die gänzlich ungewohnten Lebensverhältnisse im Einsatzland und durch die Notwendigkeit einer persönlichen Anpassung jedes einzelnen Helfers an Land und Leute und eine gänzlich andere Kultur verschärft. Der von Care Deutschland vorgesehene vierzehntägige Ablöserhythmus für die Teams ist allein deshalb absurd, weil dieser Zeitraum für eine erste Eingewöhnung als Voraussetzung zu effektiver Arbeit benötigt wird. Nach der dortigen Planung fliegen aber die Eingewöhnten dann nach Hause, und die Neuen beginnen unter Verursachung neuer Vorlaufkosten von vorn.

In geradezu fahrlässiger Weise ist außer acht gelassen worden, daß die Arbeitsbedingungen eines Arztes oder einer Krankenschwester in Deutschland mit denen in Afrika – und noch dazu in einer akuten Katastrophenlage – ungefähr so viel gemeinsam haben wie die eines Jetpiloten und eines Segelfliegers. Der Umstieg aus der auf den Einzelfall orientierten Hochleistungsmedizin zu einer auf die Rettung möglichst vieler Menschen mit unzureichenden Mitteln orientierten Katastrophenmedizin erfordert nicht nur einen veränderten Einsatz medizinischer Instrumente und pharmazeutischer Produkte, sondern auch ein ethisches Umdenken. Immer ist dabei die Entscheidung über den Einsatz der knappen Mittel zugunsten möglichst vieler Betroffener auch mit der Entscheidung zu Lasten einzelner verbunden – eine Denkweise, die dem Ethos des helfenden Berufs zunächst fremd ist und die angenommen und psychisch verarbeitet werden muß.

Unter Überschriften wie „Hilfe, die Deutschen kommen“ wird in den Medien über den verständlichen Zorn der anderen internationalen NGOs (Nichtregierungsorganisationen), die vor Ort arbeiten, berichtet. Ob MSF (Ärzte ohne Grenzen), Rotes Kreuz oder Catholic Relief Service: sie alle haben sich in den vergangenen Jahren mit Erfolg bemüht, die humanitäre Hilfe zu professionalisieren, sie an die landesspezifischen kulturellen, sozialen und ökonomischen Bedürfnisse anzupassen und sie – soweit Drittweltländer betroffen sind – mit einer längerfristigen strukturellen Hilfe abzustimmen, um nachteilige Folgen für die Landesentwicklung zu vermeiden. Nicht so Care Deutschland! Wer hat eigentlich mit welchem Ergebnis berechnet, wie viele Ruander mit dem für die ausländischen Helfer zu betreibenden Geld- und Sachaufwand hätten gerettet werden können? Wer will uns glauben machen, daß die in den Lagern erforderliche lebensrettende Basismedizin nach deutschem Standard ausgebildete Helfer erfordert?

Aber vielleicht geht es ja um etwas ganz anderes, nämlich den Kampf um den Spendenkuchen, der unter immer mehr hungrigen helfenden Organisationen aufzuteilen ist. Wer ein ordentliches Stück abhaben will, der muß sich schon etwas einfallen lassen, und wenn es Formen des gehobenen Katastrophentourismus sind.

Tatsächlich stehen ja alle großen Hilfswerke vor dem gleichen Dilemma: Zwar ist die Spendenbereitschaft bei der Bevölkerung ungebrochen (rund vier Milliarden DM pro Jahr seit 1990 in Deutschland), aber das Spendenverhalten hat sich verändert: der Spender will heute wissen, was konkret mit seinem Geld geschieht, er will sich mit dem Projekt identifizieren können, am liebsten dabei aktiv mithelfen; er ist kritischer geworden gegenüber Verwaltungsaufwand und fetten Institutionen. Daraus auch erklären sich die Erfolge der kleineren und von Bürgerselbsthilfe getragenen Initiativen und Hilfswerke.

Daraus erklärt sich aber auch der neu entstandene Zielkonflikt zwischen den Ansprüchen an eine professionelle humanitäre Hilfe im Interesse der leidenden Menschen und der Notwendigkeit, den Spender und die Öffentlichkeit immer aktiver und spektakulärer in die Hilfstätigkeit einzubeziehen, um dort das Interesse am Spenden wachzuhalten.

Dieser Zielkonflikt darf weder auf Kosten der vom Elend Betroffenen noch auf Kosten hilfsbereiter Menschen in unserem Land entschieden werden. Care Deutschland hat der Sache der humanitären Hilfe schweren Schaden zugefügt. Die Position der NGOs in den anstehenden Diskussionen um die Schaffung eines nationalen Hilfskorps für die Auslandshilfe ist geschwächt worden, weil die Frage wieder thematisiert werden wird, ob die NGOs wirklich so qualifiziert arbeiten, wie sie vorgeben es zu tun. Michael Hütte

Der Autor hat als Chefdelegierter und Projektleiter der humanitären Hilfe Projekte in Europa, Asien, Afrika, dem Nahen Osten und der Karibik betreut.