Ein Justizminister auf Ausrutschkurs

Biondi-Vorstoß sorgt für Ärger: Italiens Häftlinge sollen das letzte Jahr ihrer Strafe demnächst im „Hausarrest“ verbringen dürfen / Doch die Regelung trifft nur Weißkragentäter  ■ Aus Rom Werner Raith

„Frischgestählt“ sei er, und „ausgezeichnet“ erholt, ließ Silvio Berlusconi die Presse bei seiner Rückkehr aus Sardinien wissen. Und da die Meinungsumfragen seiner Rechtskoalition erstmals wieder einen Bürgerkonsens von über 50 Prozent zusprächen, könne sich die Regierung nun mit voller Kraft an die Arbeit machen.

Doch der Optimismus des italienischen Regierungschefs könnte schon in den nächsten Tagen Makulatur sein. Nicht nur, daß Parlamentspräsidentin Pivetti erneut das Verbot der Abtreibung fordert und die Neofaschisten nach einer politischen Anbindung der verfassungsmäßig autonomen Zentralbank rufen. Auch Justizminister Biondi scheint bei seiner Suche nach einer Rettung für korruptionsverdächtige Politiker und Manager auf Ausrutschkurs geraten zu sein.

Mit einem umwälzenden Gesetz will er angeblich die tatsächlich überfüllten Gefängnisse des Landes leeren: Demnächst sollen Häftlinge das letzte Jahr ihrer Strafe im „Hausarrest“ verbringen dürfen. Ein nobles Ansinnen, so jedenfalls Justizminister Biondi, und angeblich für den Fiskus enorm entlastend. Denn von über 50.000 Knastis könnten so an die 12.000 bis 15.000 entlassen werden, was eine Ersparnis von 80 bis 100 Millionen Mark jährlich ergäbe. Auch L'Unita zollt dem Minister Respekt: Das Ganze sei diesmal „gut verpackt“. Trotzdem habe Biondi leider noch immer „die Sache vom Juli am Bein“.

Damals hatte der Justizminister korruptionsverdächtige Politiker und Manager per Dekret aus der U-Haft herausholen wollen. Und auch diesmal versucht der schlitzohrige Advokat, die Italiener über den Löffel zu balbieren. „Die Ersparnis an Gefängnispersonal“, rechnet ein Mitglied des Haushaltsausschusses vor, „wird durch die Überwachungsmaßnahmen im Hausarrest kompensiert.“ Denn nun soll eine Polizeistreife vor dem Domizil des Knastis parken.

Auch sei die Ersparnis an Verpflegungskosten, so der Verband der Gefängnisangestellten, „bei weitem nicht so hoch wie angegeben“. Außerdem sei die Gesetzesinitiative kaum auf die große Masse derjenigen anwendbar, die ihr „letztes Jahr“ verbüßen, so ein Sprecher des Richterverbandes. Denn zwei Drittel dieser Fälle habe als „Zuhause“ unübersichtliche Wohnungen in heruntergekommenen Blocks, wo eine Überwachung unmöglich sei. „Wer hätte das gedacht!“ spottet Il Manifesto: Als Nutznießer der Biondi- Initiative bleiben wieder nur jene übrig, die aus begütertem Hause kommen und über freistehende Villen verfügen – „Manager, Politiker, Weißkragentäter“. Rechnet man hinzu, daß ein Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz – der häufigste Anklagepunkt gegen Politiker – statt mit vorgesehenen höchstens vier Jahren in der Regel mit ein bis zwei Jahren geahndet wird, so „hat man denn auch schon jene Population ausgemacht, die mit dem Gesetz aus dem Knast heraus- oder gar nicht erst hineinkommt“. Justizminister Biondi und sein Chef Berlusconi sehen in solcher Kritik natürlich „nur die Bosheiten von Journalisten, die nicht lesen können oder wollen“. Schließlich liege die Entscheidung über den Hausarrest nach dem Gesetzestext ausschließlich in der Zuständigkeit des Haftrichters. Die Richtervereinigung sieht das anders: Auch Herr Biondi werde als einer der erfolgreichsten Anwälte Italiens einräumen müssen, daß Richter vor allem durch gewiefte, das heißt teure und nur für Tophäftlinge erschwingliche Advokaten zur Konzession der vorzeitigen Entlassung bewegt werden.

Mehr als die Kritik der Presse und der Opposition ärgert Biondi und Berlusconi, daß auch diesmal die Bremsen innerhalb der Koalition zu quietschen begonnen haben. War es beim ersten Versuch im Juli die „Liga“, so legt sich nun die neofaschistische Komponente quer: Der stellvertretende Ministerpräsident Tatarella von der „Nationalen Allianz“ hat bereits die Ablehnung des Vorhabens durch seine Fraktion angekündigt – schließlich wollen sich die Ultrarechten als „die“ Saubermänner der Nation profilieren, die mit dem „Pack der alten Republik“ aufräumen und dabei keine Konzessionen eingehen.

Biondi bleiben, vorerst jedenfalls, nur Drohgesten: „Die Entlastung der Gefängnisse ist ein zentraler Punkt des Regierungsprogramms“, sagte er dem staatlichen Rundfunk RAI. „Wenn der Ministerrat mir auch diesmal nicht folgt, sollen sie sich einen suchen, der ihre Kehrtwendungen mitmacht, ich jedenfalls tue es nicht.“ Sein Regierungschef, so Biondi weiter, stehe jedenfalls voll hinter ihm – „nun muß er die Partner mal so weit bringen, daß sie Farbe bekennen“.

Der Jurist rechnet richtig: Einen spektakulären Rücktritt und eine Regierungsumbildung nach so kurzer Amtszeit kann sich Berlusconi nicht leisten. Da wird der Ministerpräsident seine frischgestählten Nerven wohl schon in dieser Woche auf die Probe stellen müssen.