Auf Weltniveau dank Kinderprämie

Das brandenburgische Manschnow zahlt 1.000 Mark für jedes neugeborene Kind / Jetzt verspricht Ministerpräsident Stolpe: Manschnow sei überall! Und ein Dorfbürgermeister grinst  ■ Von Vera Gaserow

Die Anrufe kommen aus Schweden und England, die Glückwünsche aus allen Teilen der Republik. Die letzte Fanpost stammt aus San Francisco: „Herrn Willi Stellmacher, Bürgermeisteramt, Manschnow, Deutschland“. Manschnow? Wo liegt das bitte schön? Von Berlin die B1 schnurstracks nach Osten, und wenn man an der deutsch-polnischen Grenze steht, dann ist man zehn Kilometer zu weit gefahren – und hat das Örtchen schlicht übersehen. Manschnow, eine 1.600-Seelen-Gemeinde, hingestreut in die Auspuffschwaden der vielbefahrenen Bundesstraße, mit ostdeutschem Grauschleier und westdeutscher Neonwerbung gesegnet. Kein Aspirant für den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Doch was um alles in der Welt will alle Welt von diesem Kaff? – Manschnows „Weltruhm“: Als erste Gemeinde in Deutschland hat der Ort ein „Begrüßungsgeld“ ausgelobt für jedes neugeborene Kind. In den nächsten fünf Jahren, so hat es der Gemeinderat beschlossen, wird jedes Baby mit einem Scheck über 1.000 Mark empfangen. Eine Schnapsidee, hatte Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt im Januar noch gelacht, jetzt gibt ihre SPD die Parole aus: „Manschnow ist überall.“ Landesweit eingeführt, soll die Prämie dem dramatischen Geburtenknick in Brandenburg steuern. Es ist Wahlzeit in Brandenburg.

Gegen den Geburtenknick nach der Wende

Willi Stellmacher kann darüber nur grinsen. Er hat das Begrüßungsgeld eingeführt, nicht um gewählt zu werden, sondern weil er gerade gewählt war. Im Dezember hatten die Manschnower den 43jährigen mit dem blonden Stoppelhaar und dem schnellen Mundwerk zum Bürgermeister gemacht, „und bei meiner Antrittsrede mußte ich den Leuten ja was sagen. Die wollen ja wissen, welches Ziel man sich steckt und wo in den nächsten fünf Jahren die Schwerpunkte liegen.“ „Bei den Kindern“, entschied der vierfache Vater, „denn die Kinder sind unsere Zukunft.“ Nur machten sich die Zukunftsträger auch in Manschnow äußerst rar. 25 bis 33 Neubürger zählte die Gemeinde zu DDR- Zeiten jedes Jahr. Nach der Wende sank die Geburtenrate im freien Fall: sieben Neugeborene 1991, elf 1992, acht 1993.

Willi Stellmacher kam die Idee mit der Prämie, aus DDR-Zeiten gar nicht so fremd. Die Mehrheit im Gemeinderat stimmte zu, die FDP war dagegen, die Gralshüter der sozialen Errungenschaften, die PDS-Abgeordneten, enthielten sich mit säuerlicher Miene. Seither ist der Bürgermeister achtmal mit Blumenstrauß und Scheck an Wöchnerinnenbetten geeilt. Acht Kinder wurden dieses Jahr in Manschnow geboren, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. „Aber das“, weiß Willi Stellmacher, „hat mit dem Begrüßungsgeld überhaupt nüscht zu tun. Diese Kinder waren ja schon vorher angesetzt; außerdem: Nur wegen der 1.000 Mark schafft sich doch keiner Kinder an.“ Aber er hat auch keine Eltern gesehen, die sich nicht über das Geld gefreut hätten.

75 Prozent seines gesamten Etats gibt Manschnow dieses Jahr für den Erhalt und die Renovierung von Kindereinrichtungen aus. „Natürlich“, meint Stellmacher, „hätten wir mit dem Geld auch die Gehwege vierfarbig pflastern können, aber was nützt das, wenn dann in 30 Jahren nur noch alte Leute mit 'nem Stock drüber laufen?“ Sicher, auch hier mußte man bei der Kinderbetreuung Abstriche machen. Krippe, Kindergarten und Hort wurden zusammengefaßt und personell rationalisiert. Aber während in den Nachbargemeinden die Einrichtungen mangels Masse und Kasse geschlossen wurden, findet hier jedes Kind noch einen Kitaplatz. Für die Manschnowerinnen ein Hindernis weniger beim Kinderwunsch, gleichzeitig auch eine Überlebensfrage: Rund 50 Prozent der Frauen im Ort sind arbeitslos. Die LPG beschäftigt statt 200 nur noch 18 Leute. Das Arbeitsamt zahlt nur bei allzeitiger Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt. Der Nachweis eines Kitaplatzes ist oft Vorbedingung für die Arbeitslosenunterstützung.

Deshalb erhält die Gemeinde ihre Kindereinrichtungen, subventioniert wie zu DDR-Zeiten die Schul- und Kitaspeisung, verlängert die nachmittäglichen Hortzeiten wieder, damit die wenigen Mütter, die auswärts einen Job gefunden haben, ihn nicht aus Zeitnot wiederaufgeben müssen. „Wenn der Kindergarten weg ist, ist irgendwann auch die Schule weg, und dann sind die Leute weg“, weiß der Bürgermeister. Und der ist schließlich vor zwei Jahren extra gekommen: Willi Stellmacher ist in Manschnow geboren und aufgewachsen. Bei seinem ersten Verwandtenbesuch im Westen blieb er 1988 dort. Als die Grenze offen war und die DDR längst begraben, kehrte der gelernte Versicherungskaufmann samt Familie zurück, „denn wie die Menschen im Westen miteinander umgehen, find' ich überhaupt doll“.

Eher aus Trotz denn aus Überzeugung trat Stellmacher in die CDU ein und ist in Manschnow das erste und einzige Mitglied geblieben. Mit der Partei selbst hat er nicht allzuviel am Hut, und wenn die Bonner Familienministerin Rönsch jetzt vorschlägt, kinderlose Ehepaare mit einer Extrasteuer zu bestrafen, dann findet Stellmacher das „hirnloses Zeug“. Als Bürgermeister will Stellmacher den Manschnowern „wieder Appetit machen aufs Dorf“, das Begrüßungsgeld ist da nur kleiner Aperitif. Immerhin hat der Ort seine Einwohnerzahl annähernd gehalten und nicht nur die Kirche im Dorf gelassen: Der Humanmediziner ist gelieben, die Frauenärztin, die Apotheke, der Zahnarzt, der Bäcker, der Friseur. Die Gemeinde hat sie mit niedrigen Mieten geködert.

Subotnik und Sparzwang fürs Begrüßungsgeld

Wie zahlt Manschnow das und das Begrüßungsgeld? Durch Einsparungen anderswo. Wenn die Straße vor dem Gemeidehaus asphaltiert wird, dann muß statt einer teuren unterirdischen Kanalisation ein Abwassergraben reichen; wenn die Schule neue Fenster braucht, muß der Hausmeister zum Tischler werden; wenn der Kindergarten einen neuen Sandkasten braucht, dann heuert Stellmacher die Eltern zum dreitägigen Arbeitseinsatz an, zum „Subotnik so wie zu DDR-Zeiten“.

Begrüßungsgeld für 15 Neugeborene hat Manschnow in seinem Etat für 1994 eingeplant. Daß das Geld nicht reicht, wäre in diesem Fall das Schönste, was der Bürgermeister sich vorstellen kann. Aber selbst wenn kein Nachtragshaushalt nötig ist, für den Ort, meint Stellmacher, hat sich die „die Kiste mit dem Begrüßungsgeld“ auf alle Fälle gelohnt, „oder haben Sie mit läppischen 15.000 Mark schon mal so viel Werbung gemacht?“ Wenn er jetzt beim Landwirtschaftswirtschaftsministerium einen Antrag abgeben muß, dann stellt er sich vor: „Ich komme aus Manschnow, wir sind die Gemeinde mit dem Begrüßungsgeld.“ Dann öffnen sich die Türen: „Ach Sie sind das!“