Wurst und Omo in Little Miami

In Kubas Dollar-Welten gibt es fast alles zu kaufen / Neue Sanktionen der USA wirken sich hier bisher noch kaum aus, sorgen aber für Verärgerung  ■ Aus Havanna Thomas Rahn

Hier ist Havannas Boom-Town. Die Regale sind voll, und die Kassen des Supermarkts sind kleine Computerterminals mit Bildschirm. Und hier an der 5. Avenida Ecke 42. Straße gibt es alles, was in Kuba Mangelware ist oder sonst überhaupt nicht gibt: Wurst und Halogenlampen, frisches Weißbrot und japanische Videorecorder, Tiefkühlpizza aus Ontario und Omo in der Zehn-Kilo-Tonne. Alles für Dollar, versteht sich. Früher war dies die „Diplotienda“, das exklusive Geschäft für die ausländischen Diplomaten und die hochrangigsten Kader aus Partei und Armee. Heute ist der Devisenbesitz für die kubanischen Bürger legalisiert und die „Diplo“ das größte Shopping-Center Kubas. Es wirkt, als ob ein Stück Miami herübergeschwappt wäre.

Tatsächlich steckt Miami hinter dem Boom an der 5. Avenida. Genauer: die Überweisungen der millionenstarken kubanischen Exilgemeinde an die Familienangehörigen auf der Insel. Sicher, manche, die in der „Diplo“ einkaufen, arbeiten in Havanna in einer der Dollar-Enklaven, im Tourismus oder einer der neuen Joint-venture-Firmen. Die meisten aber leben vom Geld der Verwandten in den USA. In diesen harten Zeiten auf Kuba muß man fe haben, sagen sie hier. Fe heißt eigentlich „Glaube“, aber hier geht es um Handfesteres: Fe für familia en el exterior, Familie im Ausland.

Doch damit soll es jetzt vorbei sein, wenn es nach US-Präsident Bill Clinton geht. In Reaktion auf die Flüchtlingswelle aus Kuba hat er die erlaubten Geldüberweisungen nach Havanna gekappt. Eine ältere Schwarze, deren Tasche voll ist mit Seife und Waschpulver für ein halbes Dutzend Haushalte, empört sich: „Wir verteidigen uns doch mit diesem Geld!“ Und das Wort „verteidigen“ meint: sich gegen die Widrigkeiten des Lebens behaupten, zu denen die Mängel der sozialistischen Wirtschaft gleichermaßen zählen wie derartige Einmischungen der Politik in die Überlebensnetze.

Aber von Aufregung ist hier in der Dollar-Klientel der „Diplo“ nichts zu spüren. „Nein, das ist kein Problem“, lacht eine Frau, die nach ihrem Einkauf in der – kurzen – Schlange steht, um ein Bier und eine hamburguesa zu bestellen. „Da findet sich immer ein Weg, das Geld herzubekommen. Wir haben das jetzt ja auch nur zum kleinsten Teil offiziell geschickt, sondern immer jemandem mitgegeben.“ Aber auch das wird in Zukunft schwieriger werden, denn die USA haben auch die Flüge zusammengestrichen. Manche sind auch besorgter: „Wenn die Geldsendungen verboten würden, das wäre sehr schlimm. Ich weiß nicht, wie ich dann hier auskommen sollte“, meint einer resigniert. Eingekauft hat er jetzt trotzdem wie immer. „Was soll ich sonst machen? Die Kinder brauchen ja ein Stück Huhn oder Fleisch.“

Noch sind für die Leute hier in Havannas „Little Miami“ die Auswirkungen von Clintons Schritt nicht spürbar. Und die Sorge, was kommen wird, wird verdrängt. „Es sind genauso viele Leute hier wie an allen anderen Tagen auch“, bestätigt ein Angestellter, der an der Tür aufzupassen hat, daß jeder seine Taschen abgibt, bevor er den Laden betritt. Dann legt sich seine Stirn in Falten: „Wir gehen aber davon aus, daß sich das bald ändert, wenn die Maßnahme nicht zurückgenommen wird.“