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■ Einzeln stehen sie für geballte Kompetenz, die "MinisterInnen" aus Rudolf Scharpings Schattenkabinett. Als tatsächliches Regierungsteam aber sind sie kaum vorstellbar.Rudolf und die wilde Dreizehn

Einzeln stehen sie für geballte Kompetenz, die „MinisterInnen“ aus Rudolf Scharpings Schattenkabinett.

Als tatsächliches Regierungsteam

aber sind sie kaum vorstellbar.

Rudolf und die wilde Dreizehn

In diesen Tagen ein sozialdemokratisches Schattenkabinett zu präsentieren ist keine sehr dankbare Aufgabe. Sicher, der Amtsinhaber wirkte so ausgebrannt wie über weite Strecken der zu Ende gehenden Legislaturperiode, und würde sich Deutschland schon auf den Wechsel freuen, dann könnte die lange angekündigte Präsentation der künftigen SPD-MinisterInnen schon Sinn machen: Bereits vor dem eigentlichen Ereignis könnten die Kandidaten aus herausgehobener Position ihre Kompetenz und Ausstrahlung in die Waagschale werfen und zugleich von der Aura künftiger Macht profitieren – um so dem Projekt Machtwechsel das letzte Quäntchen Effet zu verschaffen, das zur Realisierung noch fehlt.

Doch weil der Amtsinhaber vor Energie und Selbstbewußtsein strotzt, die Fehlerliste des Herausforderers auf beachtliche Länge gewachsen ist und alle Prognosen längst wieder Kontinuität versprechen, vollzog sich die gestrige Inthronisation auf Probe in eher surrealer Atmosphäre. „Es ist klar, es ist ein energischer Schub, der von diesem Kabinett ausgeht“, erklärt Rudolf Scharping. Doch klar ist nur, die Inszenierung erfordert die Formulierung solcher Überzeugungen, die niemanden recht überzeugen – und alle wissen es. Darin steckt die ganze Zumutung des gestrigen Vorgangs, fürs Publikum wie für Rudolf Scharping.

Der muß ja nicht nur die Haltung bewahren und aus aussichtslos wirkender Position gegen den Trend anrudern. Fataler für ihn ist, daß jeder Versuch, das Blatt noch einmal zu wenden, neue Zweifel hervorbringt. So auch der Schröder-Coup, der ein Wochenende lang die Spekulationen anheizte, was es wohl bedeuten mag, daß Scharping jetzt seinen exponiertesten innerparteilichen Kritiker ins Team holt. Der Firnis der offiziellen Lesart jedenfalls ist dünn: Schröder erklärt in harmloser Schlichtheit, er sei jetzt in der Mannschaft, weil Scharping ihn „gebeten hat, an dieser Stelle mitzuwirken“, und weil er „dezidiert“ die Auffassung vertrete, „daß Helmut Kohl abgelöst werden muß“. Erinnert an die Episode, als er vor Jahren, mit dem Ruf „ich will da rein“, am Gitter des Kanzleramtes rüttelte, versucht es Schröder gestern mit einer neuen Lesart: „Ich rüttele jetzt, damit der reinkommt. Der, gemeint ist Rudolf Scharping, spricht mit dem ihm eigenen Duktus von der notwendigen „Bündelung der Kräfte“, Lafontaine feixt über den „ordentlichen Zuwachs“ für das künftige Kabinett. Doch die Zweifel sind programmiert: Fühlt sich Scharping wohl, mit Schröder im Rücken, der nie einen Hehl aus seinen eigenen Ambitionen gemacht hat. Was sagt Lafontaine, der bislang in Loyalität die Nummer 2 spielte, zum neuen „Superminister“-Kandidaten? Und ist die versuchte Einbindung des Niedersachsen nicht doch eher das Schwächezeichen eines Kandidaten, der auf seine eigene Attraktivität nicht mehr recht hoffen kann?

Immerhin, wenn die Union einen Wahlkampf betreibt, der an Personenkult grenzt, und auf alle Fragen an die künftige Regierungspolitik nur mehr die Assoziation Kohl hervorruft, steht es der SPD gut an, mit allen ihren Spitzenkräften zu werben. Kein Zweifel, daß Scharping, Lafontaine, Schröder und die gesamte Runde es an Kompetenz und Profil mit dem amtierenden Kabinett leicht aufnehmen könnten. Das gilt vor allem, wenn man sie jede/n für sich betrachtet. Doch schon die Vorstellung, das könnte als Kabinett funktionieren, wirkt eher abwegig. Denn nimmt man die gestern in Bonn versammelte Runde, hat man auch schon die Kabinettskonflikte im Kopf: Klose gegen Wieczorek-Zeul über Auslandseinsätze der Bundeswehr, Sparkommissar Lafontaine gegen Dressler über die Finanzierung des sozialdemokratisch Wünschenswerten, Däubler-Gmelin gegen Maurer über die Wege zur Inneren Sicherheit – und Schröder gegen alle.

Wie auch immer, den Kabinettsstreit wird es so nicht geben: Zu gravierend erscheinen – im Rückblick – die Fehler der bisherigen Kampagne. Im Prognose- Hoch vom Jahresanfang wirkte Scharping zu zaghaft, blieb der Wechsel, der damals realistisch erschien, gewollt, aber inhaltsleer. Als der Trend zu kippen drohte, kamen die Fehler wie von selbst – Brutto-Netto, Präsidentenwahlschelte, Europawahlkampf.

Und in der Not der sich verflüchtigenden Siegchance passierte die Magdeburger Regierungsbildung, eine Weichenstellung, an der Scharpings engste Berater wohl mehr Anteil haben, als dem Kandidat heute lieb sein kann. Entgegen allen Erwartungen der Baracke, kommt Scharping aus der PDS-Falle nicht mehr heraus, legt die Union, so am Wochenende beim Dortmunder Wahlkampfauftakt, unerbittlich den Finger in die Wunde. Nicht, daß Scharpings Dementi, er werde sich von Gregor Gysi keinesfalls zum Kanzler wählen lassen, unglaubwürdig wäre, sondern daß er die Unterstellung tagtäglich dementieren muß, reicht aus, um ihm den Nimbus des künftigen Kanzlers zu nehmen.

Am Wochenende jedenfalls hat die Union zu erkennen gegeben, wie sie den Wahlkampf zu führen gedenkt: als Schicksalsentscheidung über diese oder eine „andere Republik“, mit einer ungeahnt polarisierten Kampagne, mit der sie Deutschland vor sozialdemokratischen Übeln bewahren will. Ihr erklärtes Ziel ist die strategische Mehrheit im künftigen Parlament – keine Regierungsbildung ohne die Union. Die Hoffnungen der SPD hingegen, die so zuversichtlich in das Superwahljahr gestartet war, könnten sich am Ende schon darauf reduzieren, wenigstens ein weiteres Abrutschen unter das Lafontaine-Ergebnis von 1990 zu verhindern.

Schröders gestrige Prognose, schon am Tag nach der Wahl werde ein „erbitterter Kampf um das Erbe Kohls“ beginnen, erschiene dann eher als sozialdemokratische Perspektive. Schröders gestriges Bekenntnis, er „denke nicht in Kategorien wie Aufstieg oder Abstieg“, wurde vom versammelten Publikum mit schallendem Lachen quittiert. Matthias Geis, Bonn

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