Unser kleines Radio
: Brillante Langeweile

■ Anmerkungen eines Bremer Wellenreiters. Heute: Das „Journal am Morgen“, Schatzkästlein der Weisheit

Sollte irgendwann einmal ein Werktag in unseren Breiten ohne das „Journal am Morgen“ auf Radio Bremen 2 beginnen, so müßte man schnaubenden Auspuffes die Stadt verlassen. Dann, so steht zu vermuten, liegt auch der Roland zu Kehricht zerfallen vor den rauchenden Trümmern des Rathauses, K.P. Schulenberg ist inzwischen Feuilletonchef beim „Weser Kurier“ - und Henning Scherf stellt in Havanna den Bremischen Exil-Senat vor.

Das „Journal am Morgen“ ist einer der härtesten Snobismen unserer Zeit. Zwischen sieben und zehn Uhr früh eine Sendung als verträumte Morgengabe urbanen Intellekts. Ein unerhört frecher Manierismus. Nur in Schattierungen unterscheidet sich eine Sendung von der des Vortags. Stammhörer können nach den einzelnen Beiträgen die Uhr stellen: „Wer oder was“ um fünf vor halb acht, der „Zwischenruf“ kurz nach halb neun. „Morgens“ um zwanzig nach acht.

Die Nuancen der Moderation: Da ist der Herr mit den rasselnden Bronchien. Da ist der Herr, der zu quirligen Döntjes neigt. Da ist die Dame, für „die Schifffahrt ein Instrument zur Zähmung des Mannes“ ist. Da sind der feinsinnige Gerald Sammet, die still verehrte Lore Kleinert, die harzig verklärte Cora Stephan.

Das „Journal am Morgen“ ist bremischer als vieles andere, das von dickbackigen Stadtwerbern in die Republik posaunt wird. Es ist leise, elegant, klug, humorlos und von exquisiter Penetranz. Längst weiß der Stammhörer, daß meist Herr Buck das knifflige „Wer oder was“-Rätsel löst. Daß das „Lied ohne Worte“ zwischen neun und zehn gesendet wird. Daß es Jürgen Schmitz ist, der afrikanische Musik “zwischen Skeptizismus und Tanzbarkeit“ vorstellt, und daß sich im Journal-Kommentar Rupert Neudeck wieder erhitzt apostolische Manifeste abringt. Und daß klassische Musikstücke bis hin zum Interpreten angesagt werden, Blues- und Jazz-Stücke dagegen oft unmoderiert bleiben.

„Das Greifen der Geschlechterachse in der Literaturkritik“. Manchmal möchte man dem Radio das magische Auge ausstechen, weil die Borniertheit der Intelligenz mal wieder dicker aufgetragen wird als das Nutella auf dem Sesambrötchen. Manchmal wird im „Journal am Morgen“ derart enthemmt gesülzt, daß das Gelbe vom Frühstücksei einen grünen Rand bekommt. Und manchmal – ja sogar ganz oft - freut man sich, daß wieder mal etwas ganz Schlaues gesendet wird, von dem man weiß, daß Rundfunkrat Bernd Neumann noch nicht einmal weiß, wie man es schreibt.

Naja gut, die Buchbesprechungen klingen meist, wie aus Primanerheften abgeschrieben: “Richard zweifelt, ob er Hester glauben soll. Laura hingegen greift zu einem anderen Mittel. Dann ist Hester auch tot, vergiftet – nicht mit Blausäure, sondern mit Arsen. Tödliche Gewalt prägt den geradezu klassischen Zweikampf zweier Männer um eine Frau.“ Da gähnt man schon mal oder geht in den Garten, um dem Hund ein Stöckchen zu werfen.

Das „Journal am Morgen“ ist eine der kultiviertesten Formen, Rundfunk zu machen. Es ist der tägliche Triumph über die in Bremen schwadronierende Ignoranz. Ein Luxusprodukt für Menschen, die zuhören können, die nachdenken wollen und die nicht nach anderthalb Minuten Text wieder Chris de Burgh hören müssen. Unerschütterlich schnöselig. Gnadenlos moralisierend. Und manchmal auf brillant unterhaltsame Weise langweilend, Die Güldenkammer des Bremlechen Rundfunks.

Kurz vor zehn: Das Journal-Gedicht. „Freies Geleit“ von Ingeborg Bachmann. Und dann, wie jeden Tag, „Bye, bye, Blackbird“ von Miles Davis. Schalt das Radio ab - danach kann nichts mehr kommen.

Lutz Wetzel