HeilpraktikerInnen für Frankreich! Von Ulli Schöppler

Haben Sie schon mal versucht, mit Blutwurzelpulver in der Tasche eine Grenze zu überqueren? Nein? Glück gehabt! Dieses Heilkräutlein, das zur Behandlung von Wunden taugt, kann die Einreise in das Land Ihrer Urlaubsträume nämlich erheblich komplizieren. So geschehen im Juli 1994 an der deutsch-französischen Grenze:

Während die meisten Wagen unbehelligt – wie im „Vereinigten Europa“ nicht anders gewohnt – die verwaisten Grenzanlagen passieren, erachtet ein routinierter Blick der Zollbeamten sowohl einen rostigen, mit Klebeband zusammengehaltenen Daimler als auch die darin befindlichen langhaarigen Personen (inkl. Hund) als stichprobenwürdig. Papiere, an die Seite fahren, einer der Blauen hat die Hand am Pistolenhalfter: Aussteigen! Gutgläubig und besten Gewissens folgen die beiden den Beamten ins Büro. Erst als sie dort voneinander getrennt werden, ahnen sie, was folgt: Ausziehen – einschließlich Dessous.

Doch die Zöllner werden nicht fündig, obwohl auch der PKW mittlerweile Opfer ihrer Beutegier geworden ist: Alles, alles ist ausgepackt ... sogar die Sägespäne in den Knallerbsen für die Kids haben sie durchsiebt. Doch da nähert sich hinterrücks ein Grenzhüter und winkt breit grienend mit einem Tütchen: Das habe man bei ihnen gefunden, und es sei erwiesen, daß dies Cannabis ist. Nachdem die stumme, wütende Frage nach der Sau, die da doch was mitgenommen hat, beidseitig mit einem klaren „Nein!“ beantwortet ist, drängt sich die Vermutung auf, daß ihnen was untergeschoben werden soll. Dann lösen sich die Fragezeichen in den Augen der vermeintlich Ertappten in einem lauten Lachen: „Das ist ein Arzneimittel, legal und rezeptfrei.“ Kopfschütteln: „Non, je ne comprend pas!“ (Wieso auch, ein Beamter im Grenzdienst, zwei Jahre post offener EG-Grenzen!?) Auch die besseren Sprachkenntnisse des zweiten „Überführten“ nutzen nichts. Nein, der „Dickenson“-Test sei sicher, neu, aus Amiland; der Indikator zeigt ein kräftiges Rot. Noch mal, ganz langsam: Das sei Blutwurzel zur Behandlung von Wunden, und diese Pflanze sei eh rot, selbst draufgeschüttetes Wasser färbe sich rot. „Non, Messieurs, je ne comprend pas!“ Nun wird man vor die Wahl gestellt: 200 Francs zahlen – oder Knast. Auch der lautstarke Appell an die Staatsdiener auf der anderen Seite des Grenzübergangs – „Ich bin deutscher Staatsbürger und Steuerzahler!!“ – veranlaßt diese nicht zur Hilfe. Da gibt es nichts, schließlich wartet der Urlaub nicht; widerwillig drücken sie ihre Strafe ab, die in einer Zigarrenkiste verschwindet, was die Zungen der Grenzer auf einmal in perfektem Deutsch löst. Eine Quittung gibt's nicht.

Was bleibt außer Ohnmachtsgefühlen gegenüber Staatsmächten und einer Vorstrafe? Sonnige Urlaubstage, trotzdem! Und die Frage, ob die Unwilligkeit der Grenzer auch daran liegt, daß die Naturheilkunde in Frankreich nicht etabliert ist: HeilpraktikerInnen sind dort nicht zugelassen und müssen am Jahresende eine Strafe ins Staatssäckl zahlen – einfach dafür, daß sie ihren Beruf ausüben.

P.S. Nachfragen in Berliner Apotheken ergaben: Derartige Komplikationen seien bisher unbekannt und Blutwurzel, in ihre Bestandteile zerlegt, enthalte 50% Gerbstoffe, 10% eines stark rotfärbenden Stoffes...