Press-Schlag: Bertis Auferstehung
■ Der Bundestrainer spricht wieder
Der postmundiale Kater des Bundestrainers, der – bis auf ein ominöses Spiegel-Interview, von dem Vogts inzwischen nicht mehr allzuviel wissen will – mit eisernem Schweigen einherging, ist behoben. Berti spricht wieder und teilte der neugierigen Nation mit, welche Gründe zum frühen Scheitern bei der Weltmeisterschaft in den USA führten. Eine eingehende Fehleranalyse, die Vogts mit dem DFB-Trainerstab und einigen Bundesligatrainern vornahm, förderte teilweise überraschende Erkenntnisse zutage. So war an den Gegentoren offensichtlich nicht Frau Illgner schuld, sondern Bodo selbst. Dafür darf er jetzt nicht mehr mitspielen, trotz aller Ablaßangebote des DFB-Präsidenten Egidius Braun – vogtslänglich also, bzw. lebenslänglich, was beim DFB wohl gleichbedeutend ist, für den Kölner Keeper, obwohl es das ja eigentlich gar nicht gibt, wie der Bundestrainer im Falle Effenberg anmerkte.
Diesen mitzunehmen, sei einer seiner Fehler gewesen und werde so bald nicht mehr vorkommen, obwohl Stefan Effenberg durch gutes Benehmen, besonders außerhalb des Spielfeldes („Wir werden ihn beobachten“), seine Rehabilitation selber in die Wege leiten könnte. Denn: „Lebenslänglich gibt es bei uns nicht“ (Vogts). Daraufhin rannten gewohnt vorlaute Reporter eines gewohnt aufdringlichen Fernsehsenders zu Effenberg und teilten diesem mit, hurra, er dürfe wieder in der Nationalmannschaft kicken, wenn er nur selbst „ein Zeichen gebe“. Vergeblich warteten die gespannten TV- Zuschauer auf den gereckten Mittelfinger, kein Zeichen von Effenberg, dafür beschied dieser dem Bundestrainer, der möge gefälligst seine Leistungen auf dem Spielfeld begutachten. Genau das hatte Vogts nicht gemeint. Fazit: Hopfen und Malz verloren. Kollektives Aufatmen.
Selber habe er natürlich auch Fehler gemacht, hat Bundes- Berti herausgefunden. Illgner, Effenberg, außerdem zu wenig junge Spieler im Kader. Ein paar U-25-Akteure hätte er schon mitnehmen sollen, aber nicht etwa, um sie spielen zu lassen, sondern „damit mehr Stimmung kommt und Druck auf die älteren Spieler entsteht.“ Einige, das ergaben die Untersuchungen, hätten nämlich „nur 75 Prozent“ von dem gegeben, was medizinisch möglich gewesen wäre. Im übrigen sei die Kritik jedoch „völlig überzogen“ gewesen, er habe „unsere besten Spieler“ mitgenommen, „wir“ seien nach wie vor „eine der besten Mannschaften der Welt“, wenn „wir“ nur endlich auch so spielen würden.
„Mehr arbeiten“, „mehr Willenskraft“ lautet die nicht unbedingt originelle Devise für die Zukunft, in diesem Sinne hat Vogts für das Länderspiel gegen Rußland am 7. September in Moskau als einzige Neulinge die beiden defensiven Mittelfeldrackerer Jens Todt (Freiburg) und Jens Nowotny (KSC) berufen. Als Kandidaten für die Zukunft nannte er einfach ein paar Spieler, die am letzten Samstag ein Tor schossen: Herrlich, Tarnat, Bobic.
Ansonsten bleibt alles beim alten. 15 Mitglieder des WM- Kaders wurden erneut berufen. Matthäus darf weiterhin seinen Vorruhestand als Libero genießen. Ziemlich ungeklärt sind hingegen die Fragen, wieso bei der WM solch „lebloser und schablonenhafter Fußball“ (Vogts) gespielt wurde, wie es kam, daß die Abwehr am Ende der Partien gegen Südkorea und Belgien derartig hilflos war, daß Andreas Möller, im Verein und auch in einigen Länderspielen zuvor überragend, von den Platzhirschen im Team so kraß an den Rand gedrängt werden konnte, daß die taktischen Mittel schlicht nicht ausreichten, um auf höchster Ebene mithalten zu können, daß Deutschland schließlich „auf die absurdeste Weise“ (Johan Cruyff) ausschied. Dies sind Probleme, die in den ureigensten Bereich des Trainers fallen und sich wohl kaum dadurch beheben lassen, daß die Spieler endlich ihre medizinischen Möglichkeiten ausschöpfen. Matti Lieske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen