Schleimiges Untier, domestiziert

Eine Ausstellung zeigt, wie aus dem Rabauken Lurchi mit der Zeit ein richtiger Softie wurde  ■ Von Karola Braun-Wanke

Wer der heute Dreißig- bis Fünfzigjährigen erinnert sich nicht an die Heftchen mit den „lustigen Abenteuergeschichten“ des frechen, schwarzgelben, hutschwenkenden Lurchi in seinen ebenso unvergeßlichen braunen Schnürstiefeln, die den Kauf der ersehnten Lack- oder der schlicht benötigten Halbschuhe versüßten? Was verbirgt sich hinter dem Amphibien-Phänomen Lurchi? Ein gewöhnlicher Molch, ein Bilderheld, ein Schuh oder gar eine Kultfigur?

Diese Frage steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Lurchi – dem Feuersalamander auf der Spur“ im schwäbischen Kornwestheim, der Heimatstadt des Schuhherstellers Salamander. Dessen Markenzeichen und Werbefigur wird von neun Lurchi-Forschern unter die Lupe genommen. Die Reihe der „lustigen Salamandergeschichten“, die bereits in den 30er Jahren als Werbegeschenk in Massenauflage erschienen, ist die älteste noch erscheinende Werbe- Bildergeschichte Deutschlands.

„Lurchis Abenteuer“ zählen gattungsmäßig eindeutig zur Comic-Literatur. Jenseits der amerikanischen Sprechblasen-Vorbilder stehen sie jedoch mit ihren gereimten Begleittexten in der Tradition Wilhelm Buschs bzw. der Kinderbuchillustration. Phantasievoll und witzig wird mit bekannten Erzählmotiven aus der Märchenwelt, des Abenteurromans und der Raubritterwelt jongliert. Sportliche Wettkämpfe, Reisen in ferne Länder, zum Mond oder Mars werden mit dem festen Figurenkreis Hopps, Unkerich, Mäusepiep, Igelmann, Zwerg Piping, dem Helden Lurchi und mit immer wiederkehrenden Handlungsmustern variiert.

„Lurchis Abenteuer“ spiegeln immer die Zeit ihrer jeweiligen Entstehung: Lurchi saß, dem Wirtschaftswundermythos gemäß, auf dem Motorrad, im Auto oder wirbelte mit Hula-Hoop-Reifen. Später fliegt er im Flugzeug, noch später in einer Rakete. In den Siebzigern werden Themen wie Ölkrise und die Olympiade aufgegriffen. Am Ende jeder Geschichte setzen die Werbestrategen ihre immer wiederkehrende tönende Botschaft: „Salamander lebe hoch!“

Oberflächlich betrachtet wahrt der anthropomorphisierte Serienheld Lurchi über fast sechs Jahrzehnte hinweg seinen eigentümlichen Charakter. Die Ausstellung offenbart jedoch, daß Lurchis Seriendasein starken Schwankungen in der zeichnerischen und erzählerischen Qualität ausgesetzt war. Ein unbekannter Zeichner, der für die ersten fünf Bildergeschichten verantwortlich war, formte Ende der dreißiger Jahre die Grundstruktur der über 100teiligen Fortsetzungsgeschichten.

Nach der kriegsbedingten Unterbrechung begann in den 50er Jahren Lurchis „Goldenes Zeitalter“. Es ist eng mit dem Namen des Zeichners und Illustrators Heinz Schubel verbunden, der die Figur des „Höllenbuben Lurchi“ entscheidend prägte. Unter seiner Federführung stürzt sich der frechmutige Lurchi mit „enthemmter Motorik“ und immer „Dank Schuh“ in seine zahlreichen Abenteuer. Ausgefeilt-schwungvolle und detailbetonte Aquarellzeichnungen verbanden sich unter seiner Hand mit phantasievollen Geschichten. Mit zielsicherer Eleganz bannte er Lurchis Aktionen in seinen Reimwitz mit dem typisch Schubelschen lakonischen, oft aber auch sarkastischen Humor.

Ihm folgten teilweise weniger rühmliche Zeichner und Autoren, wobei hier vor allem die Arbeiten von Georg Nickel zu erwähnen sind, dessen Lurchi-Stil überhaupt nicht überzeugen konnte. Durch die Modezeichnerin Brigitte Smith erfuhr „Lurchi“ Einflüsse aus Pop- art und Jugendstil, was sich in einem flächigen Stil und bunt stilisierten Hintergründen zeigte. Der Salamander wurde dabei (leider) auch charakterlich domestiziert. Aus dem Hau-Drauf-Rabauken wurde ein sanfter Flower-power- Softie, der wenig mit dem Schubelvorbild gemein hatte.

Seit Heft 97 liegt die Gestaltung in den Händen von Peter Krisp und Olaf Sveistrup, der für den Text verantwortlich ist. Mit Krisps Anlehnung an den modern-naiven „Funny-Stil“ vermindert sich die körperliche Präsenz des vordem vor Selbstbewußtsein strotzenden Lurchis. Krisp und Sveistrup verhelfen der aufgeweichten Lurchi- Figur erneut zu einem klaren Profil. Obwohl auch sie vom wunderbaren Schubel-Lurchi weit entfernt sind, gelingt ihnen eine akzeptable, leider aber auch entschärfte Lurchi-Figur. Ob die Angleichung Lurchis an die Standards der Comic-Welt sein Abdriften in die Vergessenheit aufhalten kann, bleibt zweifelhaft. Heute können die wenigsten Kids mit der seltsamen Feuernatur mit grünem Jägerhut noch etwas anfangen.

Warum der Schuhhersteller Rudolf Moos 1899 ausgerechnet einen stilisierten Salamander zu seinem Markenzeichen machte, bleibt auch nach dieser Ausstellung offen. Möglicherweise war es die sagenumwobene und geheimnisumwitterte Aura, die das dämonische Fabeltier umgab. Als hochgiftiges, schleimiges Untier verunglimpft, das angeblich unbeschadet durch das Feuer gehen könne, galt der Feuersalamander als „Spion des Teufels“. Seine angedichteten Eigenschaften wiesen ihn aber auch als Schutztier und als Symbol der Reinheit und des Todesmutes aus.

Die Ausstellung „Lurchi – dem Feuersalamander auf der Spur“ ist bis 18.9.1994 in der Galerie der Stadt Kornwestheim zu sehen.