Marsch für Koka, Würde und Leben

1.500 bolivianische Koka-Bauern protestieren gegen die Drogenpolitik der Regierung / Polizei versucht mit Tränengas und Absperrungen, den Marsch auf La Paz zu verhindern  ■ Aus La Paz Thomas Pampuch

Vor acht Jahren waren es die „mineros“, die Minenarbeiter, die unter dem Slogan „für Leben und Frieden“ auf La Paz zu marschierten. Vor vier Jahren belagerten die „indigenas“, die Indianer, die bolivianische Hauptstadt. Nun, wiederum vier Jahre später, sind es die „cocaleros“, die Kokabauern der tropischen Zonen des Chapare, etwa 600 Kilometer südöstlich von La Paz. Mit ihrem „Marsch für Koka, Würde und Leben“, der am Montag begonnen hat, protestieren sie gegen die Übergriffe der Antidrogeneinheiten der bolivianischen Polizei im Chapare. Inzwischen haben sich eine Reihe von Bauern- und Gewerkschaftsorganisationen im ganzen Land mit den cocaleros solidarisiert. Auch der bolivianische Gewerkschaftsdachverband COB unterstützt den Marsch und hat für Donnerstag zu einem nationalen Protesttag gegen die neoliberale Politik der Regierung aufgerufen.

Auf die Regierung des Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada dürfte damit nach einem Jahr Amtszeit die erste schwere Belastungsprobe zukommen. „Goni“ führt eine Koalition, die neben der ehemaligen Partei der bolivianischen Revolution MNR noch die linke MBL (Movimiento Boliviano de Liberación), die populistische UCS (Unión Civica Solidaridad) des größten Bierbrauers von Bolivien sowie die indianische Partei MRTKL (Movimiento Boliviano Tupac Katari de Liberación) umfaßt.

Im Gegensatz zum Kokaanbau in den Yungas (dem Tiefland hinter La Paz) ist der Kokaanbau im Chapare seit Jahren gesetzlich verboten. Dennoch hat sich in dieser Zone ein blühendes Kokageschäft entwickelt. Alle Programme der Substitution durch legale Produkte haben wenig gefruchtet. Erschwert wird die Lage durch die Tatsache, daß viele der arbeitslos gewordenen mineros im Chapare ein Auskommen als cocaleros gefunden haben. Zwar gibt es inzwischen allerlei alternative Programme. Doch solange Zitrusfrüchte, Bananen und Kaffee schlechtere Preise als die Kokablätter erzielen, dürfte der illegale Handel weitergehen.

„Koka ist ein gutes Geschäft“ erklärt José Antonio Quiroga, einer der besten Kenner der Materie. „Aber der Kampf gegen Koka ist auch ein gutes Geschäft.“ Schon die letzte Regierung von Jaime Paz Zamora hat eine ganze Menge Geld aus dem Ausland für ihren Kampf gegen den Drogenhandel erhalten. Aber die Hilfsgelder für den Kampf gegen die Drogen, von denen schon einige Regierungen profitiert haben, sind nur eine Seite der komplizierten Materie.

Der Kokaanbau hat auch eine soziale Komponente. Keine bolivianische Regierung kann es sich erlauben, zu brutal gegen die Bauern vorzugehen. Denn sie sind ja keine Kriminellen, sondern einfache campesinos, die nur versuchen, mit einem Produkt zu überleben, das eine uralte Tradition hat und gute Verdienstmöglichkeiten garantiert. Letztlich weiß keine Regierung, was sie den cocaleros als Alternative anbieten könnte. Kein Wunder, daß auch die jetzige Regierung lange Zeit versuchte, eine friedliche Lösung zu finden. Am Wochenende reiste fast das gesamte Kabinett nach Cochabamba, um dort mit den Führern der Kokabauern zu verhandeln. Diese lehnten den Dialog jedoch ab.

Einer der Gründe dafür ist der bis heute ungeklärte Tod von Felipe Perez vor einer Woche. Perez war einer jener vielen „pisa-cocas“, das heißt Kokastampfer, die die Kokablätter bei der Weiterverarbeitung zu Kokain unter Zusatz von Chemikalien mit den Füßen stampfen. Nach Meinung der cocaleros ist Perez von Mitgliedern der verhaßten Umopar, der mobilen Antidrogeneinheit, erst gefoltert und dann umgebracht worden. Die Regierung bestreitet das.

Nach den fehlgeschlagenen Vermittlungsversuchen scheint die Regierung nun auf eine harte Linie zu setzen. Um den Marsch in letzter Minute zu stoppen, versetzte sie am Sonntag 200 Polizisten und 400 Soldaten „zur logistischen Verstärkung“ in den Chapare. Außerdem ließ sie den Führer der cocaleros, Evo Morales, und sechs weitere Bauernführer kurzerhand verhaften. Ihnen wird vorgeworfen, eine „Gewerkschaftspolizei“ gebildet zu haben. Morales werden daneben noch Verbindungen zu der kürzlich aus Bolivien ausgewiesenen Italienerin Emma Cucchi vorgeworfen. Cucchi wollte angeblich aus dem Chapare ein zweites Chiapas machen und soll Morales 69.000 Bolivianos (etwa 15.000 Dollar) für den Marsch gegeben haben. Der Vorsitzende der Menschenrechtskommission von Bolivien Waldo Albarracin hat die Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, Morales sei nur verhaftet worden, um die Bewegung der cocaleros zu schwächen. Morales ist inzwischen in den Hungerstreik getreten. Ob die Strategie der weiteren Militarisierung und Kriminalisierung aufgehen wird, ist mehr als fraglich.

Am Montag konnte sich der Marsch aufgrund der militärischen Absperrungen und der massiven Polizeipräsenz erst mit Verspätung in Bewegung setzen, etwa 1.500 cocaleros und cocaleras marschierten in Villa Tunari los. Nach kurzer Zeit wurden sie jedoch gestoppt, aus Hubschraubern warf die Polizei Tränengas ab. Nach Aussagen eines Regierungsbeamten „kommt auf den Straßen des Gebietes keine Nadel mehr durch.“ Es gebe keinen Marsch, sondern nur die Absicht dazu. Zwischen fünfzig und hundert cocaleros sollen festgenommen worden sein. Nach offiziellen Angaben herrscht Ruhe im Land. Doch in verschiedenen Städten wurden inzwischen Solidaritätsmärsche angekündigt.

Vizepräsident Victor Hugo Cárdenas erklärte inzwischen, er habe Angst, daß es zu Gewaltakten komme, und bot erneut Verhandlungen an. „Diese Regierung wird keine gewaltsame Zerstörung von Kokafeldern vornehmen“, versicherte er. Die Stellungnahme von Präsident Sánchez de Lozada fiel kürzer aus: „Nein zum Marsch, ja zum Dialog.“