„Wo dein Platz, Genosse, ist...“

Genossenschaftler rufen Genossen, und sie kommen auch / Bausenator Nagel und Kandidat Thierse in der Prenzelberger Destille „Seeblick“  ■ Von Uwe Rada

Läuft der Wahlkampf auf Hochtouren, rennt der Bausenator allen voran. Sei es die Vorliebe für große Mannsbilder wie Edzard Reuter oder ein Foto in einer Tageszeitung, das den weniger großgewachsenen Sozi halbnackt und zum Abtauchen bereit am Beckenrand eines Schwimmbads zeigt, Wolfgang Nagel scheut weder Dementis noch Gefahren, geht es nur ums Wohl der Partei. Auch nicht am Dienstag abend. Wo sich sonst Autonome mit Bürgerrechtlern streiten, wo der Abgeordnete des Neuen Forums mit der PDS flirtet und sich der Wirt nicht selten zum Bier an die Tische setzt, in jene Prenzelberger Räuberhöhle also, namens „Seeblick“, wagte sich der Bausenator. Gerufen von den Genossenschaftlern der „Selbstbau“, sollte Genosse Nagel, attestiert vom Kandidaten Wolfgang Thierse („Hallo Wolfgang!“, „Hallo Wolfgang!“), Rede und Antwort stehen.

Die „Selbstbau e.G.“ ist eine kritische Genossenschaft. Viele ihrer Mitstreiter waren schon aktiv, als es zu DDR-Zeiten gegen den geplanten Abriß der Rykestraße ging. Vier Häuser befinden sich derzeit in ihrem Besitz, darunter die Rykestraße 13 und 14, Selbsthilfehäuser, saniert aus den Mitteln des altehrwürdigen 25-Millionen-Programms des Bausenators, mit hübschen Stahlbalkons oben und dem „Seeblick“ unten. Man hatte also zu danken und begann mit dem Gegenteil. „Als es darum ging, im Prenzelberg 69 Häuser zu privatisieren“, schimpfte ein Genosse auf den andern, „hatte die Selbstbau so gut wie keine Chance.“ Statt dessen machte die R.E.M.M. das Rennen, eine Firma, die sich zwar verpflichten mußte, innerhalb von drei Monaten an kaufwillige Mietergemeinschaften weiterzuverkaufen, sich aber einen Dreck darum scherte. Deshalb wurde sie im „Seeblick“ nicht nur von den Baugenossen, sondern auch vom Genossen Bausenator kritisiert. Aber: „Der Geschäftsführer der R.E.M.M. ist Mitglied der SPD“, enthüllt einer. „Man kann ja der SPD nicht das Verhalten einzelner Mitglieder vorwerfen“, kam es zur Antwort. Die Gegenrede: „Wenn bei der PDS einer bei den Kampfgruppen war, muß sich die Partei ja auch ständig rechtfertigen.“ Auch über angeblich 10 Millionen DM Steuergeschenke an die R.E.M.M. beklagen sich die Genossenschafter. Das riß selbst den Kandidaten zur einzigen Wortmeldung des Abends hin: „Zwischen Gewinn und angeblichen Steuergeschenken besteht ein Unterschied“, meinte Thierse.

Nachdem freilich die Differenzen klargestellt waren und auch die geräumten Besetzer der Fehrbelliner Straße 5 kurz protestieren durften, wandte man sich den eigentlichen Themen zu: steuerliche Gleichstellung von Genossenschaften gegenüber Privateigentümern? „Denkbar!“ (Nagel). Privatisierung an Genossenschaften gleichberechtigt mit Verkäufen an Mieter? „SPD-Vorschlag“ (Nagel). Kostenlose Überlassung landeseigener Grundstücke an Genossenschaften für den Wohnungsneubau? „Mit uns nicht. Nur zum Verkehrswert“ (Nagel). Leiser Zwischenruf eines prominenten Bezirkspolitikers: „Wie bei Daimler am Potsdamer Platz.“

Nach zwei Stunden Genossenschaftsquiz war die Veranstaltung dann zu Ende. Die zahlreich vertretene Sanierungsszene sowie die Bezirksfürsten Matthias Klipp (grüner Tupfer unter roten Socken), Manfred Dennert (Genosse Bürgermeister) sowie Reinhard Kraetzer (Genosse Sozialstadtrat) hatten bis zum Schluß ausgeharrt. Nur einer hatte sich gar nicht erst zu ihnen gesellt. Der Abgeordnete des Neuen Forums tat, was er im „Seeblick“ immer tut. Er stand am Tresen und diskutierte mit dem Stammpublikum sowie den Besetzern der Fehrbelliner Straße 5. Die freuten sich schon auf den nächsten Wahlkampfauftritt. Am selben Abend in einer Schule in der Schwedter Straße. „Dann geht es heißer her“, versprachen sie, „hier haben wir uns zurückgehalten, weil wir der Genossenschaft nicht in die Quere kommen wollten.“ Wahlkampf im Prenzlauer Berg.