Wenn das Sofa nicht mehr zur Tapete paßt

Im Recyclinghof in Charlottenburg wird von der Batterie bis zur Couchgarnitur alles entsorgt / Die „Umweltengel“ Peter Schrul und Lars Noah verfügen über großen Anekdotenschatz  ■ Von Patricia Pantel

Das Leben von Peter Schrul ist Müll. Seit fast 20 Jahren steckt der 37jährige in dem orangefarbenen Anzug, der Sauberkeit bedeutet. „Straßenmüllmann“ ist er allerdings schon seit sechs Jahren nicht mehr. Aber der Abfall anderer Leute ist geblieben. Sein Arbeitsplatz ist ein Hof mit rund 15 großen Containern voller Sperrmüll, Altpapier, Altglas bis hin zu alten Kühlschränken und ausrangierten Autoreifen. Peter Schrul ist einer der vier Männer, die pro Schicht auf dem Recyclinghof in der Ilsenburger Straße in Charlottenburg für Ordnung sorgen. Und da ist Müll nicht nur dreckig, sondern auch manchmal lustig: „Es war schon mal einer da, der wollte hier ein ganzes Pferd abgeben“, erinnert er sich, „dem haben wir dann gesagt, daß er gefälligst zum Abdecker gehen soll.“

Der Recyclinghof in Charlottenburg ist einer der rund 50 zu der Berliner Stadtreinigung (BSR) gehörenden Recyclinghöfe. Hier kann Müll jeder Art bis zu einer bestimmten Menge umsonst abgegeben werden. „Etwa ein Kofferraum voll ist o.k.“, erklärt Schruls Kollege Lars Noah das Augenmaß, mit dem er die „bestimmte Menge“ abschätzt. Und der Name sagt es: Alles, was hier landet, soll recycelt werden: Holz kommt in die Holzfabrik, Glas wird eingeschmolzen, Öl wiederaufgearbeitet, altes Brot kriegen die Schweine, und die Klamotten holt das Deutsche Rote Kreuz ab.

Tag für Tag kommen bis zu 300 Leute, die ihre gesammelten Berge an Altpapier, Batterien oder Sperrmüll loswerden wollen. Und doch sind es die Highlights, die das Leben mit dem Müll so liebenswert machen. „Da war zum Beispiel mal ein Taxifahrer, der hat zusammen mit seinem Altpapier 600 Mark in die Papierpresse geworfen“, erzählt Peter Schrul und schmunzelt bei der Erinnerung, „da mußten wir die Presse sofort anhalten und alle suchen. Nach endlosem Herumwühlen haben wir das Geld dann tatsächlich wiedergefunden.“ Weniger erfolgreich war die Jagd im Müll nach den verlorenen Haustürschlüsseln von zwei älteren Charlottenburger Damen. „Wir haben uns wirklich bemüht, aber die mußten am Ende doch den Schlüsseldienst kommen lassen.“

In die Ilsenburger Straße kommen hauptsächlich Wegwerffreudige und Recyclingtreue aus Charlottenburg. „Aber viele sind auch aus anderen Bezirken, aus Brandenburg oder Potsdam, weil es bei uns so nett ist.“ Zum Beweis zeigt Schrul stolz den Brief eines Kunden: „Ein dickes Lob für die freundliche Behandlung auf dem Reyclinghof.“

Ob mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß: jeder hat etwas für die großen Container. „Vor allem samstags ist hier Hochbetrieb“, sagt Schrul, „aber es standen auch schon mal nachts um 1 Uhr Leute vor dem Tor und wollten ihren Müll loswerden.“ Jedesmal müssen die Männer in den orangefarbenen Anzügen genau erklären, was wohin geworfen werden darf. „Da flucht man schon manchmal, wenn man dreimal erklärt hat, daß das beschichtete Holz nicht zu dem normalen Holz darf, sondern zum Sperrmüll“, stöhnt Schrul, „manchmal müssen wir alles wieder umräumen und umsortieren.“

Über zu wenig Müll können sich die Saubermänner nicht beklagen. In ganz Berlin kommt pro Jahr so viel Abfall zusammen, daß man damit achtmal das Olympiastadion füllen könnte – 2,5 Millionen Tonnen. Die Ex- und Hopp-Gesellschaft auf ihrem Höhepunkt. Und wer kann da besser die Pervertierung des Wegwerfwahns beobachten als der Mann im Müll. „Es ist wirklich unglaublich, was so alles in den Containern landet“, erzählt Lars Noah, „neulich kam einer, der hatte eine Sofagarnitur im Kofferraum, die aussah wie neu. Sie hat wahrscheinlich nicht mehr zur Tapete gepaßt. Aber sie war nigelnagelneu, die hätte ich mir sogar noch hingestellt.“ Aber Mitnehmen ist nicht gestattet: „Das dürfen wir nicht.“

Dennoch kommen immer wieder findige Sachensucher in der Hoffnung, das eine oder andere gute Stück aus den Containern fischen zu können. Dann heißt es: „Tut uns leid, geht nicht. Das ist nicht erlaubt.“ Aber die beiden Müllmänner drücken öfters mal ein Auge zu: „Wenn so ein Mütterchen kommt und zum Beispiel irgendein kleines Teil für ihren Staubsauger haben will, dann kann sie das ruhig mitnehmen“, sagt Peter Schrul gönnerhaft. Und ab und zu werden die Recyclinghofmänner ihrem Namen auch gleich an Ort und Stelle gerecht: „Manchmal können wir auch Kunden überreden, die Sachen wieder mit nach Hause zu nehmen, wenn die wirklich noch gut sind“, so Umweltengel Lars, „dann wird es praktisch schon vor dem Recyceln wiederverwendet.“

Ganze Sozialstudien könnten die Männer von der Ilsenburger über ihre Kunden schreiben: „Es geht vom Recyclingfanatiker, der mit nur einer Batterie auf den Hof kommt, bis zu Leuten, die hier einfach nur möglichst schnell ihren Dreck loswerden wollen.“ Und wo der Wegwerfer pampig wird, ist auch für die „Umweltengel“ Schluß mit der Freundlichkeit. Das Abstellen von Elektrogeräten ist seit Anfang des Jahres gebührenpflichtig. Und wo man fürs Wegwerfen noch etwas bezahlen soll, gibt es manchmal auch Ärger. „Einige mosern dann herum, die wollen den Kühlschrank dann, statt etwas zu bezahlen, lieber in den Wald schmeißen“, ärgert sich Lars. Denn der 31jährige jagt sogar in seiner Freizeit dem Müll hinterher: „Wenn ich zum Angeln nach Brandenburg fahre, dann passiert es schon, daß ich die Dosen, die da rumliegen, einsammel'. Und meine Zigarettenkippen nehme ich auch wieder mit.“