Kuba

■ betr.: Berichterstattung, zuletzt taz vom 27.8.94

Natürlich: Die Embargosituation darf in Kuba selbst nicht zu einer Immunisierungsstrategie gegenüber jedweder Kritik an der Regierung führen und damit notwendige Veränderungen blockieren. Wieso reproduziert Ihr aber im wesentlichen immer wieder das Bild eines Landes, dessen Veränderung zum Besseren hin in erster Linie von einem halsstarrigen Diktator blockiert werde, der sich gegen Markt, Freiheit und Demokratie sträube? Wieso verzichtet Ihr weitgehend darauf, Geschichte, Form und Absicht der Kuba-Blockade nachzuzeichnen? Hat US- amerikanische Politik seit neuestem nichts mehr mit Imperialismus und Ausbeutung zu tun?

Zum anderen ist auch Eure Darstellung der internen Lage in Kuba ebenso dürftig. Schon bei der historischen Bewertung der kubanischen Revolution werden Handlungsspielräume suggeriert, die so niemals bestanden haben. Gab es wirklich einen Weg jenseits der Anbindung an den damaligen Ostblock, um die Revolution zu stabilisieren und damit zu verhindern, daß die entmachtete Herrschaftsklasse, deren Reichtum ja wohl in der Tradition von Sklaverei und Folgeformen brutalster Ausbeutung stand, schon damals erfolgreich zurückschlug? Ist es nicht absurd, ausgerechnet die sogenannte Reformkommunisten des untergegangenen Ostblocks als positives Gegenmodell zu Castro anzupreisen, wo diese sich doch, an ihren eigenen Ansprüchen gemessen, geradezu als nützliche Idioten hemmungslosester Formen des Kapitals, mafioser Strukturen des wiedererstarkten Klerus und nationalistischer Kräfte erwiesen haben? [...] Es scheint ein echtes Tabu zu sein, das Selbstevidente auszusprechen, nämlich, daß es dem breiten Volk in der untergegangenen Sowjetunion – vorerst oder auf Dauer? – schlechter geht, als in der Breschnew-Ära. Bei der Bewertung der aktuellen Lage herrscht ein wundersamer Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes vor, ein Glaube, der sich nach meiner Überzeugung als der Mythos unserer Tage schlechthin entpuppen wird. [...]

Natürlich: Castro hat keine Chance. Wenn sich die US-Politik nicht ändert – und das ist angesichts der wahren Kräfteverhältnisse in diesem Lande jenseits des Demokratiegeplänkels nicht zu erwarten – wird es zu einem Bürgerkrieg kommen und die jetzige politische Ordnung wird fallen. Was wird passieren, wenn Exilkubaner Macht übernehmen? Wer sind die Nutznießer, wer sind diejenigen, die Befürchtungen haben müssen? Was wird die Geschichte dann eigentlich „gezeigt“ haben? [...]

Aber vielleicht lassen sich ja die unerfreulichsten Begleitumstände der zu erwartenden Veränderungen im Wege von Recht und Ordnung „abfedern“; man braucht sich nur das Guantanamo-Vertragswerk zum Vorbild nehmen, das den US-Aufenthalt gegen die jährliche Zahlung von zirka 4.000 Dollar für rechtens erklärt. Besonders die Parole „Sozialismus oder Tod“ gilt Euch als sicheres Zeichen für Wahnvorstellungen eines Diktators. Welcher vernünftige Mensch würde schon das eigene wie das Leben anderer opfern, um sich gesellschaftlicher Veränderungen zu entziehen? Auf Unverständnis kann eine solche Haltung vor allem bei einer Klientel stoßen, für die Widerstand heißt, in einer Schülerzeitung unerzogene Artikel zu schreiben. Für den Bauern in der Sierra Maestra, der vor der Wahl steht, seinen Landbesitz zu verteidigen oder wieder zum Knecht eines revanchistischen Großgrundbesitzers (was heißt eigentlich „Alteigentümer“ auf spanisch?) zu werden, sieht die Lage schon anders aus. Knut Zille, Marburg