Langhals in die Prärie gegöbelt

■ Der Mythos "Wyatt Earp" ist angeschossen, aber nicht tot. Ein Reiterstandbild mit Schrammen von Lawrence Kasdan

Womöglich erinnern sich die Fernsehveteranen unter uns an den Vorspann der Westernserie „Rauchende Colts“: Gravitätisch traten sich da zwei Revolvermänner gegenüber, einer gut, der andere böse. Die anschwellende Musik signalisierte Dramatik, und schon zogen sie ihre kleinen Dinger, kaum daß das Auge zu folgen vermochte.

Western sind reich an solchen Ritualen, die durchweg den Eindruck machen, als seien sie für die Filmkamera erfunden worden. Was ja auch stimmt. Ihrer breiten Streuung wegen taugten die damaligen Handfeuerwaffen nicht im mindesten für Schießkunststücke, wie man sie von der Leinwand kennt. Gefeuert wurde auf nahe Distanz, und wenn eine Kugel glücklich ihr Ziel erreichte, riß sie eine ziemlich scheußliche Wunde. Kein schöner Anblick. Als er zum ersten Mal ein blutiges Scharmützel mit ansah, göbelte der heranwachsende Wyatt Earp langhals in die Prärie.

Ohne Peckinpahs Schwelgereien

Lawrence Kasdan, Regisseur, Koautor und Koproduzent der groß angelegten Filmbiographie „Wyatt Earp“, läßt in diesen Dingen Genauigkeit walten. Gewalt zeigt er aus der Perspektive des Augenzeugen, ohne Betulichkeiten, aber auch ohne die Schwelgereien der Peckinpah-Schule. Auf die typischen fotogenen Gesten und Riten des Westerngenres verzichtet Kasdan zumeist und stellt beispielsweise die Earp-Brüder und Doc Holliday eben nicht in schnurgerader Viererreihe auf, wenn sie zum Duell am O. K. Corral gehen. Hauptdarsteller Costner tanzt diesmal nicht mit Wölfen noch gar mit Büffeln, er knallt sie einfach ab. Die zotteligen Riesen werden, wenig malerisch, gleichsam im Akkord gefällt, bevor man ihnen in mühseliger Arbeit das begehrte Fell abzieht; ein schmutziges Geschäft, das immerhin drei Mann und eine Pferdestärke erfordert. Später liegen gewaltige Fleischberge auf der Savanne, und diesmal ist es einer der skinner, dem der Odem der Verwesung den Magen umstülpt.

Kasdans Epos enthält einige bittere Wahrheiten, zumal über den Titelhelden, der, bevor er 1929 im Alter von 81 Jahren starb, noch kräftig am eigenen Denkmal gemeißelt hatte. Eben deshalb – wenn die Legende zur Wahrheit wird, verfilmen wir die Legende – diente er nochmals vielen Leinwandfiguren als Vorbild. Obwohl Kasdan und sein Koautor Dan Gordon diesem Reiterstandbild ein paar böse Schrammen zufügen, indem sie sich an bislang vernachlässigten Tatsachen entlangarbeiten, gewähren sie ihrem Protagonisten doch eine romantische Aura. In ihrer Interpretation ist Earps autokratisches Schalten und Walten weniger auf schnödes Macht- und Gewinnstreben zurückzuführen als vielmehr auf seelische Zerrüttung und die Nachwehen des frühen Todes seiner Jugendliebe Urilla. Earps erste, tragisch endende Ehe inszeniert Kasdan als arkadische Blockhausromanze mit melodramatischem „Love-Story“- Appeal: Traulich brennt das Feuer im Kamin, traulich kuschelt das Paar in reinlichen Laken, und draußen vorm Fenster ziehen die Jahreszeiten gleichsam im Fluge vorüber.

Zerrüttungen, unglaubwürdig

Wie in der Szene, in der Earps Initiation an der Waffe von einem bombastischen Feuerwerk illuminiert wird, obsiegt hier zeitweilig der Konfektionär Kasdan, der sonst Hollywood mit publikumswirksamen Drehbüchern wie „Jäger des verlorenen Schatzes“ oder „Bodyguard“ versorgt.

Zu seinem Stil und damit zu seinen Qualitäten findet „Wyatt Earp“ erst als sinistrer Psychowestern, der die dunklen Seiten nicht nur des Titelhelden, sondern auch die seines treuen Freundes Doc Holliday freilegt. Dennis Quaid, dem mit einiger Berechtigung bereits ein „Oscar“ prophezeit wurde, liefert in dieser Rolle die wohl beste Leistung seiner bisherigen Karriere – ausgezehrt und zerbrechlich, abgemagert buchstäblich bis auf die Knochen, stakst er unsicheren Tritts durch Tombstones Straßen; das Ziehen des Revolvers wird zur mühsamen Anstrengung, und wenn ein Hustenanfall den Schwindsüchtigen aufs Lager wirft, greift der einschlägig prädisponierte Betrachter mitleidend zum Aerosol. Rechtschaffen müht sich Publikumsliebling Costner, Earps Zerrüttungen in seinem Spiel aufscheinen zu lassen. Quaid aber stiehlt ihm schlankweg die Schau – was anzusehen das Entree schon halbwegs lohnt. Harald Keller

„Wyatt Earp“, Regie: Lawrence Kasdan; Buch: Dan Gordon und Lawrence Kasdan. Mit: Kevin Costner (auch Koproduzent), Dennis Quaid, Isabella Rossellini, Gene Hackman, Joanna Going, Jeff Fahey, Mark Harmon, JoBeth Williams und vielen anderen. USA, 189 Minuten

Siehe Porträt auf Seite 11