: Der flüchtige Bock, der Gärtner war
Seit über einem Vierteljahr ist der Chef der spanischen Polizeitruppe Guardia Civil verschwunden / Luis Roldan ist in seiner Amtszeit erstaunlich reich geworden ■ Aus Madrid Antje Bauer
Sieben Jahre lang war er einer der mächtigsten Fahnder Spaniens. An der Spitze der halbmilitärischen Polizeitruppe Guardia Civil oblag ihm die operative Seite von Drogenbekämpfung, Antiterrorismus und innerer Sicherheit. Er kannte alle Kloaken des spanischen Staates. Als Innenminister Jose Luis Corcuera im vergangenen Herbst zurücktrat, galt der Sozialist Roldan als Kandidat für seine Nachfolge. Doch seit Ende April ist Luis Roldan selber auf der Flucht vor dem Arm des Gesetzes.
Im Oktober hatte die spanische Presse aufgedeckt, daß der Chef der Guardia Civil einen Lebenswandel führte, dessen Luxus allein aus dem Gehalt eines Beamten nicht zu bestreiten war. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, im November trat Roldan von seinem Amt zurück.
Die Nachforschungen einer parlamentarischen Untersuchungskommission sowie einer rührigen Untersuchungsrichterin brachten Erstaunliches zutage: In den sieben Jahren seiner Amtszeit war es dem mittellosen Roldan gelungen, Besitzer mehrerer Appartments, davon eines in Paris, sowie eines luxuriösen Chalets auf der Karibikinsel San Bartolome zu werden, mehrere Firmen zu gründen und zusammen mit Familienmitgliedern einige Nummernkonten in der Schweiz zu unterhalten, auf die Millionen Franken eingezahlt wurden.
Um an Geld zu kommen, stellte sich bald heraus, war Roldan wenig zimperlich: Er griff zu, wo es ging. Als lukrativ erwiesen sich etwa die Aufträge für den Bau von Kasernen der Guardia Civil, die Roldan persönlich erteilte. Rund 60 Millionen Mark dürfte Roldan auf diesem Wege eingesackt haben.
Auch vor dem Fonds für Waisenkinder der Guardia Civil, deren Väter Anschlägen zum Opfer gefallen sind, schreckte der Oberpolizist nicht zurück: Noch immer suchen die Behörden nach dem Verbleib von 280.000 Mark aus dem Fonds, die spurlos verschwunden sind. Von Firmen, die die von der ETA bedrohte Autobahn im baskischen Leitzaran-Tal bauen wollten und dafür ansehnliche Gefahrenzulagen bekamen, soll er ebenfalls Kommissionen eingesteckt haben.
Als politisch am heikelsten erweist sich nun eine Einkommensquelle, die zunächst als sehr sicher gegolten haben mochte: Der Reptilienfonds der Guardia Civil, eine Geheimkasse, aus der verdeckte Operationen zur Bekämpfung von Terrorismus und Drogenhandel finanziert werden sollen. Vor wenigen Jahren war während des Prozesses gegen die beiden Polizisten Jose Amedo und Michel Dominguez deutlich geworden, daß aus diesem Fonds Killer bezahlt worden waren, die bis Mitte der 80er Jahre im französischen Baskenland fast 30 Menschen ermordet hatten, um die ETA einzuschüchtern. Daß sich die sozialistische Regierung hartnäckig geweigert hatte, in jenem Prozeß Auskünfte über die Verwendung dieser Gelder zu erteilen und auch kein anderes Gremium bislang irgendeine Kontrolle über diese Kasse ausübt, mag als Anreiz gewirkt haben: Wie Roldan selber gegenüber El Mundo erklärte, bezogen sämtliche hohen Chargen des Innenministeriums, ihn selbst eingeschlossen, ein kräftiges Zusatzgehalt aus diesem Fonds. Nach Schätzungen von El Pais wurde nur die Hälfte des Reptilienfonds für seine eigentlichen Zwecke ausgegeben: Der Rest wanderte in die Taschen der Beamten.
Allgemeine Korruption unter den Sozialisten
Möglich war diese hemmungslose Bereicherung, da sich in den Jahren absoluter Mehrheit der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE in Spanien ein allgemeines Klima der Korruption breitgemacht hatte, in dem Kontrollen weitgehend vermieden wurden. Im Laufe der vergangenen Jahre waren indes immer mehr Korruptionsskandale an die Öffentlichkeit gelangt. Nachdem im vergangenen Sommer der Chef der spanischen Notenbank Mariano Rubio wegen privater Nutzung von Insiderinformationen seinen Stuhl hatte räumen müssen, hatte der „Fall Roldan“ die Bevölkerung weiterhin in der Überzeugung bestärkt, daß die Sozialisten Könige der Korruption seien – wenige Monate vor den Europawahlen und vor den Landtagswahlen in der sozialistischen Hochburg Andalusien ziemlich gefährlich.
Um weiterem Schaden vorzubeugen, war beschlossen worden, an Roldan ein Exempel zu statuieren. Eine parlamentarische Untersuchungskommission wurde eingerichtet, die Roldans politische Verantwortung klären, zugleich aber verhindern sollte, daß hohe Regierungsbeamte und vor allem der Vizepremierminister Narcis Serra, mit dem Roldan enge Kontakte pflegte, mitbeschuldigt würden.
Vor dem Ausschuß gab sich etwa Emilio Alonso Manglano, der Chef des militärischen Geheimdienstes Cesid, dem auch Mitglieder der Guardia Civil angehören, auffällig uninformiert. Über den luxuriösen Lebenswandel von Roldan habe er nichts gewußt, versicherte Alonso Manglano. „Manglano zog es vor, als jemand zu erscheinen, der über die Kloaken des Staates wenig informiert ist, anstatt irgendeinen Anhaltspunkt zu liefern, der die Regierung und vor allem den Vizepremierminister Narcis Serra in Bedrängnis bringen könnte“, schrieb El Pais, die sich gewöhnlich nicht durch allzu große Kritik gegenüber der Regierung auszeichnet.
Zunächst war gegen Roldan nur wegen Betrugs und Amtsanmaßung ermittelt worden. Die Untersuchungen der Richterin Ana Ferrer führten jedoch zu einer Erweiterung der Anklagepunkte auf Steuerhinterziehung, Dokumentenfälschung und Veruntreuung öffentlicher Gelder.
Ende April ordnete die Untersuchungsrichterin an, dem ehemaligen Chef der Guardia Civil wegen Fluchtgefahr den Paß zu entziehen. Doch dieser kam ihr zuvor und verschwand – unter Hinterlassung explosiven Materials. In einem handschriftlichen Brief an Premierminister Felipe González, den er Mitte Juni aus geheimem Ort übermitteln ließ, beklagte er sich, daß Narcis Serra ihm die Drecksarbeit überlassen habe. Er belegte diese Behauptung mit der Übersendung eines geheimen Dossiers an El Mundo, das Informationen über die Geschäfte des Bankiers Mario Conde enthielt. Laut Roldan war das von der US- amerikanischen Detektivfirma Kroll Associates erstellte Dossier über den damals gefährlichen politischen Gegner der Sozialisten Conde Anfang 1992 vom Vizepremierminister Narcis Serra in Auftrag gegeben und dafür mehr als eine Million Mark aus dem Reptilienfonds der Guardia Civil bezahlt worden.
Serra dementierte Roldans Behauptung, doch erteilte er den zuständigen Beamten keine Aussagegenehmigung über die Verwendung der Gelder aus dem Reptilienfonds. Stattdessen forderte der ehemalige Staatssekretär für Sicherheit, Rafael Vera, nach seiner Vernehmung, Roldan wegen „Hochverrats“ anzuklagen, da er sein Treuegelöbnis gebrochen habe.
Für die Regierung gefährliche Dokumente
In einem Interview, das er Antonio Rubio und Manuel Cerdan, zwei Journalisten von El Mundo, kurz vor seinem Verschwinden gab, drohte Roldan, er schreibe gerade seine Memoiren. „Später wird man sehen, was ich damit mache“, erklärte er den beiden Journalisten. „Sie werden auf jeden Fall in Sicherheit sein, falls mir oder meiner Familie etwas zustößt.“ Unter Verweis auf die beiden Polizisten Amedo und Dominguez, die wegen ihrer Beteiligung an der Terrororganisation GAL zu 108 Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, versicherte Roldan, er sei benutzt worden, doch werde er nicht allein in den Knast gehen wie Amedo. Und vor dem Ermittlungsrichter werde er alles aussagen, was er wisse.
Daß es zwischen Roldan und der spanischen Regierung Verhandlungen gibt oder geben wird, davon sind Antonio Rubio und Manuel Cerdan überzeugt. Jedoch: „Das Problem der spanischen Regierung ist nicht Roldan, sondern das sind die Dokumente, die er mit sich führt und deren Veröffentlichung zum Sturz der Regierung führen könnte“, versichert Antonio Rubio.
Während seiner Amtszeit habe Roldan zu allen seinen Aktivitäten sorgsam Kopien angefertigt. Ohne diese Dokumente sei die Festnahme von Roldan wertlos. „Wenn sie aber die Dokumente finden, würde es mich nicht wundern, wenn man Roldan tot in seiner Badewanne fände oder wenn er einem Verkehrsunfall zum Opfer fiele.“
Schon jetzt hat der „Fall Roldan“ politisch einiges gekostet. Als erstes hat Innenminister Antoni Asuncion wegen seiner Flucht den Hut nehmen müssen. Sein Vorgänger Jose Corcuera gab sein Abgeordnetenmandat zurück, da er Roldan eingesetzt hatte. Doch zur Zeit stockt die Sache. Die spanische Öffentlichkeit brät an den Stränden und will von Politik nichts wissen. Die Untersuchungsrichterin ist in Mutterschaftsurlaub gegangen. Die Presse meldete abwechselnd, er sei in San Bartolome gesehen worden, wo er ein Luxusappartment besaß, in Südafrika, um sich einer gesichtschirurgischen Operation zu unterziehen, in Syrien wegen seiner guten Beziehung zum Bruder des dortigen Präsidenten oder in Angola, wo er einmal als Vermittler für ein Waffengeschäft tätig geworden war. Selbst Globetrotter und Krimiautoren werden inzwischen in der Presse mit der Frage bemüht, wohin der Ordnungshüter geflohen sein könnte. Angeblich sucht die Polizei von 32 Ländern nach Roldan, die spanische Polizei hat Reisen in mehrere Länder gemacht, in denen Spuren des meistgesuchten Flüchtlings Spaniens aufgetaucht sein sollen. Bislang umsonst.
Vielleicht stimmen die Gerüchte, die wissen wollen, daß Roldan längst tot ist, wie Alberto Elias. Dann wird wohl weiter Schweigen herrschen. Wenn nicht, so prophezeien die beiden wohlinformierten Journalisten Rubio und Cerdan einen heißen Herbst: Spätestens im kommenden Januar, so ihre Voraussage, wird Vizepremierminister Serra stürzen. Über Roldan.
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