Zu Wasser zum Nordpol?

■ Wahnsinn oder Wagemut - 125 Jahre deutsche Polarforschung, eine Ausstellung

In der festen Überzeugung, inmitten des arktischen Meeres, das man nach dem Durchbrechen eines Eisgürtels erreichen könne, den Nordpol zu finden, stach am 24. Mai 1868 die erste deutsche Polarexpedition von Bergen/Norwegen aus in See. Der Theoretiker August Petermann ist überzeugt, daß die Erreichung des Nordpols mit einem Schraubendampfer heut zu Tage eine sehr leichte, geringfügige Sache sein würde. Die Expedition, noch ohne einen Wissenschaftler unterwegs, belehrt ihn eines besseren. Bis zum 81. Breitengrad dringt der Segler und Ex-Robbenfänger „Grönland“ vor, stößt dabei immer wieder auf undurchdringliches Packeis – und kehrt am 10. Oktober 1868 nach Bremerhaven zurück. Diese Reise bedeutete den Anfang der deutschen Polarforschung, die jetzt ihr 125jähriges Jubiläum feiert. Aus diesem Anlaß hat das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung eine Ausstellung über Vergangenheit in Gegenwart der Polarforschung in Arktis und Antarktis zusammengestellt, die ab heute im Überseemuseum zu sehen ist.

Mit 20.000 PS bahnt sich das Forschungsschiff „Polarstern“ derzeit den Weg durch das meterdicke Eis der Grönlandsee. Das leistungsstärkste Polarforschungsschiff der Welt, mit neun wissenschaftlichen Labors und tonnenweise Forschungsgerätschaften an Bord, befindet sich auf seiner 10. Arktisexpedition. Neben diesem technischen Muskelprotz, als Modell im Überseeemuseum zu sehen, nehmen sich die ersten Polarforscher und ihre kleinen Segelschiffe wie lebensmüde Abenteurer aus. Einige Modelle und historische Fotos lassen den Wagemut der Seefahrer, die von Bremer Kaufleuten aus wirtschaftlichem Interesse maßgeblich unterstützt und in den Norden geschickt wurden, lebendig werden.

Unvorstellbar, wie im Jahr 1869 die Besatzung der „Hansa“ zusehen mußte, wie ihr festsitzendes Schiff vom Packeis vor Ostgrönland zermalmt wurde – woraufhin sie sich aus den Kohlevorräten ein Haus auf einer Eisscholle bauten, auf der sie 200 Tage lang gen Süden drifteten. Die erste Polarüberwinterung, noch ganz unfreiwilliger Art.

Über die Geschichte der ersten Expeditionen leitet die Ausstellung in die „gemäßigteren“ Jahre über: Im internationalen Polarjahr 1882/83 geht der Trend zu stationären Beobachtungen, die heute das Kernstück der Polarforschung bilden. Im Jahr 1901 startet die erste deutsche Forschungsreise in die Antarktis. Von der Arktisfahrt des Luftschiffes „Graf Zeppelin“ (1931) sind ebenso Bilder zu sehen wie erste technische Gerätschaften, die Klima, Geologie und die polaren Meere untersuchen. Denn die reinen Abenteuer werden immer mehr zur wissenschaftlichen Forschung – die im ewigen Eis immer ein Abenteuer bleiben wird.

Die Geschichte der deutschen Polarforschung ging nach dem zweiten Weltkrieg unterschiedliche Wege: Während die DDR sich sowjetischen Unternehmen anschloß – ein Dankesbrief des „Kollektivs der Sowjetpolarniki“ für 10 Jahre gemeinsame Forschung in der Station Novolasarevskaja belegt die gute Zusammenarbeit –, schließt sich die BRD westlichen Unternehmen an und baut 1980 im Nordwesten der Antarktis die Georg-Neumayer-Station. Das Modell läßt das harte Leben in den meterhoch von Schnee und Eis bedeckten Röhren nur ahnen. Gerätschaften, kiloweise Polarkleidung, Holz- und Motorschlitten sowie Karten runden die Ausstellung, die aus Anlaß des 3. Oktober und der europäischen Polarforschungskonferenz im September in Bremen weilt, ab.

Die taz wird in den nächsten Wochen in loser Folge über 125 Jahre deutsche Polarforschung berichten: Wir dokumentieren Reiseberichte der ersten Expeditionen, beleuchten die politischen Motive der Polarforschung, berichten über den Polarkoller, das Zusammenleben über und das Leben unter dem Packeis. skai