piwik no script img

„Sie spucken Lungengewebe raus“

■ Deutschlands einzige „Selbsthilfegruppe Asbestose“ arbeitet mit 200 Mitgliedern in Vegesack

Es fängt an mit Hustenanfällen und Atemnot, vor allem nachts. Und das Gefühl, daß man nicht mehr belastbar ist. Erst nach langen Untersuchungen wußte Heiko Rodloff woran er erkrankt war: Asbestose. „Ich bin ein Todeskandidat“, sagt er. Die Krankheit ist nicht heilbar. Obgleich sie berufsbedingt ist, hat er bisher keinen Pfennig von der Berufsgenossenschaft gesehen.

Fünfzehn Jahre hat Heiko Rodloff im Schiffbau beim Vulkan gearbeitet. Als Schweißer trug er einen Schutzanzug, der zu 90 Prozent mit Asbest verwebt war. Zum Ausbruch der Asbestose kommt es frühestens nach einer 10 bis 30 Jahre dauernden Latenzzeit. Die eingeatmeten Asbestfasern können von der Lunge nicht gereinigt werden. Die winzigen Fasern „verhaken sich im Lungensytem“, so Rodloff. Die chemisch sehr stabilen Fasern können bis zu 5.000 mal brechen und zerstoßen so das Lungengewebe. Sie führen zu einer auf den Röntgenbildern sichtbaren Verhärtung des Gewebes. Die hat zur Folge, daß die Austauschfläche für den Sauerstoff immer kleiner wird: „Im Extremfall erstickt der Patient allmählich“.

Heiko Rodloff lebt seit Jahren mit einem Sauerstoffgerät am Bett. Manchmal, wenn er hustet, kommt ein „festes hartes Sekret mit Blutbeimengung raus“. Er hat auch schon erlebt, daß er „richtig Gewebe“ ausgespuckt hat. Mit Sauerstoff und Cortison kommt er über die Runden. Vor ihm liegen Berge von Akten, Röntgenbilder und am Computer erstellte Diagnosen. Er hat Zeichnungen angefertigt, die darstellen, wo auf den Schiffen beim Vulkan Asbest verarbeitet wurde und er damit in Berührung kam. Aus Fachliteratur sucht er Statistiken und Diagnosen heraus, die er dem Sozialgericht vorlegt. Doch Arzt und Richter haben ihn ausgelacht wegen der Beweisführung, erzählt er empört: „Die werden alle geschmiert von der Berufsgenossenschaft, sogar der Richter am Landessozialgericht wird geschmiert.“

Seit 1936 ist Asbestose eine anerkannte Berufskrankheit. Nach offiziellen Schätzungen des Umweltbundesamtes gab es 1992 rund 1.000 Erkrankte. Die Gewerkschaften hatten in ihrer Schätzung damals die Zahl 30.000 genannt. Die Hamburger Selbsthilfegruppe für Asbestose-Erkrankte ist eingegangen: Alle 126 Mitglieder sind tot. In einer Zeitschrift hat Rodloff Kreuze neben den Fotos seiner früheren LeidensgenossInnen gemacht. Die Bremer Gruppe ist die einzige bundesweit organisierte „Selbsthilfegruppe Asbestose“ mit rund 200 Mitgliedern. Nur etwa 15 Personen haben bisher eine Anerkennung ihrer Berufskrankheit erhalten. Davon bekommen jedoch nur drei Personen die Berufsunfähigkeitsrente.

Trotz der deutlich erkennbaren weißen Schatten an der Seitenwand der Lunge auf den Röntgenbildern Rodloffs redete der erste Arzt nur von einer altersbedingten Erscheinung. Ein weiterer versuchte Rodloff damit zu beruhigen, daß es sich „einkapseln“ würde. Doch Rodloff hat inzwischen 15.000 Mark für Fachliteratur ausgegeben. Ein Internist bat ihn gar um Nachhilfe. Als er aber vor Jahren mit der ersten Überweiseung zum Lungenfacharzt ging, verstand er noch nicht, daß er an Krebs erkrankt war. Auf den Bildern einer Comuterdiagnose sind überall helle Punkte zu sehen: „Das sind Metastasen“, sagt Rodloff, an seinen Füßen, seiner Schulter, seiner Lunge und am Hinterkopf.

Jeden ersten Dienstag im Monat trifft sich die Selbsthilfegruppe im Bürgerhaus Vegesack um 19.30 Uhr in der Altentagsstätte, Postadresse: Lindenstr. 1b. Sie müssen sich selbst helfen. „Da hilft einem keiner, die wollen alle nur Geld verdienen mit ihren Black & Decker-Geräten“, sagt Rodloff.

Vivianne Agena

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen