■ Die noch schönere Stimme
: Dickdarm blieb stumm

Er blieb aus: Dieser aus dem Urgrund der verschlungenen Dickdärme, aus den brodelnden Notküchen ringender Existenz emporsteigende, dann sich gewaltsam durch die Enge der Lippen kämpfende und umso explosiver herausgeschleuderte, ja infernalische Ton. Den man braucht für Gänsehaut und nasse Augen, damit ein Abend mit schönen Stimmen und Klängen sich bezahlt gemacht hat. Weder die Heilige Nachtigall Monterrat Caballé gab ihn uns, noch Gösta Winbergh, der Ritter vom Hohen C, erst recht nicht die Trompete Jerichos, Maurice André. Nur Heribert K. (Name v.d.Red.geänd.): Eine Stimme aus dem Publikum, die plötzlich und für alle Ohrenzeugen unvergeßlich ein so gewaltiges „NEIN!!!“ rief, daß beim schwarzen Daimler der Diva um ein Haar die Alarmanlage auslöste. Das war, als die Werder Bremen Big Band die etwa siebte Zugabe gab, obwohl nicht einmal die erste herbeigeklatscht worden war. Das Publikum: eine amorphe, wenngleich erlebnishungrige Masse, ibiza-braun, die auf diesem Wege das Weserstadion einmal von innen kennenlernte. Jedenfalls irrten Hunderte noch nach dem Anpfiff durch die Pauliner Marsch, auf der Suche nach dem Eingang. Die ohne Karte dagegen waren die offenbar unvermeidlichen Schwarzhörer. Garderobemäßig überwogen bei den Zahlenden grüngewürfelte Sakko (Herren) und der leichte Frühherbsttrench (Damen). Ein lobendes Wort zum Ausklang: Nie moderierte sanfter und kongenialer, demütiger und gedankenleerer zugleich ein Mensch ein Classic-Open-Air als Gerd „Frauentraum“ Mindermann vom Heimatsender. Er brachte es zustande, gegen Ende der windigen Nacht die Zuhörerinnen und Zuschauer mit den Worten zu salben: „Diese Nacht wollten wir Ihnen zum Geschenk machen.“ Man bedenke: bis zu 150 Mark kosteten die Karten. Als später die Kassenhäuschen gestürmt wurden, waren die Veranstalter allerdings schon längst entkommen. Burkhard Straßmann