In schwesterlicher Umarmung

Hommage an Johann Gottfried Schadow  ■ Von Petra Welzel

Das wäre dem königlichen Hofbildhauer und ehemaligen Akademiedirektor Johann Gottfried Schadow wohl in seinen kühnsten Vorstellungen nicht in den Sinn gekommen: daß nämlich der zu seiner Zeit noch nicht existierende Verein der Berliner Künstlerinnen, der 1992 sein 125jähriges Jubiläum mit einer Retrospektive unter dem Motto „Profession ohne Tradition“ feierte, seine diesjährige Jahresausstellung ausgerechnet ihm, dem großen Berliner Bildhauer, widmen würde.

Vor zwei Jahren sah es trotz der großen Show in der Berlinischen Galerie noch so aus, als ginge es mit dem Verein mangels Mitgliedern zu Ende. Doch mit ihrem jüngsten Coup haben sich die Künstlerinnen jetzt als Profis erwiesen: Sie haben sich nicht nur dem berühmten Bildhauer verschrieben, sondern sich gleichzeitig auch in Schadows ehemaligem Wohnhaus in Mitte breitgemacht. Seit zwei Jahren hat der Verein im Hof des Hauses als Treffpunkt und Büro bereits ein kleines Nebenatelier gemietet.

Immer irgendwie am Rande des finanziellen Kollapses operierend, scheint die Zukunft der Künstlerinnenvereinigung dort nur in enger Umarmung mit der 1992 gegründeten Schadow-Gesellschaft möglich zu sein. Es ist nicht zuletzt dem umtriebigen Engagement der Vorsitzenden Karoline Müller zu verdanken, daß es den Künstlerinnenverein auch heute noch gibt. Daß Karoline Müller ebenfalls im Vorstand der Schadow-Gesellschaft sitzt, ist daher kaum verwunderlich.

Bei soviel Kalkül fällt es dann auch nicht mehr ins Gewicht, wenn sich Künstlerinnen heute der Auseinandersetzung mit einem ehemaligen Akademiedirektor stellen, der seinerzeit an der Akademie der Künste (1815–1845) keinen einzigen Gedanken daran verschwendete, Frauen den Weg in die Akademien zu öffnen.

Die Ausstellung ist das Ergebnis einer einjährigen Recherche, bei der die Künstlerinnen in den Spuren des Bildhauers nach eigenen Ideen gesucht haben. Am entschiedensten vom Vorbild gelöst haben sich dabei noch die Bildhauerinnen. Christine Kochs Skulptur „per terra“, eine grauschwarze Marmorkugel mit einer Nische, in der drei kleine gelbe Marmorkügelchen wie ein Reaktor-Strahlenwarnzeichen lagern, hat mit einer Schadowschen Figur nicht mehr gemeinsam als den Werkstoff.

Aiga Müllers „Verklärung der Königin Luise“, eine elfteilige lebensgroße Körperdekonstruktion aus Gips und Scherbenmosaiken, zeigt hingegen noch die größte Nähe etwa zu Schadows „Großer Büste“, der Königin. Mit der Zerlegung des Torsos in Fragmente von Brüsten, Händen, Ellenbogen- und Kniegelenken sowie Füßen und der Auslöschung des realen Porträts entmythisiert Aiga Müller jedoch die Wirkmächtigkeit Schadowscher Großplastik.

Bei den Malerinnen ist die Konfrontation mit den Werken des Bildhauers nicht zu übersehen. Die Quadriga vom Brandenburger Tor und das Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen von 1795/96, die ohnehin bekanntesten Werke Schadows, entlocken auch den Künstlerinnen die meisten Ideen.

In Fotoübermalungen hat Sabine Kasan die Formensprache und Umrisse seiner Skulpturen hervorgehoben. Frei nach Schadows Maxime: „Ich fang beim kleenen Zehen an, un das is meine Manier, un das is de beste“, wandert ihr suchender Blick vom Detail der Füße bis zur schwesterlichen Umarmung der Prinzessinnengruppe hinauf. In dem Doppelbildnis hat sie das Individuelle und Einzigartige dieser Skulptur entdeckt: wegen der laxen und der höfischen Etikette deutlich zuwiderlaufenden Haltung erregten die Schwestern zu ihrer Zeit nicht gerade wenig Aufsehen. Viele Jahre wurde das Paar deshalb der Öffentlichkeit vorenthalten.

Der Unterschied zur traditionellen Auffassung wird deutlich in Sabine Kasans Gegenüberstellung vom Standbild Hans Joachim von Ziethens und einem sich anlehnenden Eros. Die klassische Pose im Kontrapost erweist sich bei ihr als nicht mehr als der Umriß eines Typus; mal angezogen, mal nackt. Ob dieser zu Schadows Zeiten zur Darstellung eines Generals oder eines Liebesboten diente, war unerheblich. Allein die Haltung wahrte wie eine zweite Haut den Anstand.

Zwischen den Arbeiten der Künstlerinnen entdeckt man immer wieder Gipsabgüsse Schadowscher Werke, die den Beitrag der Schadow-Gesellschaft anläßlich der Geburtstagsfeier darstellen. In der von den Künstlerinnen konzipierten Ausstellung stechen sie weder hervor, noch sind sie fehl am Platz. Dies liegt sicherlich an der Vervielfachung seiner Werke in den Arbeiten der Künstlerinnen, vielleicht aber auch an Schadows zum Teil traditionsabgewandter Formensprache. Wie sehr er selbst in abstrakten Bildern gedacht hat, macht seine Abneigung zum damaligen Künstlerdorado Italien deutlich: „Ich bin nich so sehr vor Italien ... die Bäume gefallen mir nu schon jar nich. Immer diese Pinien un diese Pappeln. Un was is es denn am Ende damit? De eenen sehn aus wie uffgeklappte Regenschirme un die anderen wie zugeklappte.“

Auf die persönliche Ebene hat Rita Preuss ihr Schadowbild erhoben. Zwei Selbstporträts – einmal mit Pinselkrone und einmal mit Kochtopf – und zwei Porträts des Bildhauers – Schadow mit 51 und 75 Jahren – vermischen den Blick auf sich selbst mit dem Blick auf den Künstler. Im hohen Alter hat sich Schadow an den köstlichen Quarkfladen seiner Nachbarin ergötzt, und als wäre dies sein einzig bekanntes „Frauenlob“, scheint sich die heute 70jährige Malerin an den Herd verwiesen.

Noch bis 24.9. Mo.–Sa., 14–19, So. 10–19 Uhr im Schadow-Haus, Schadowstraße 10/11, Mitte, der Katalog kostet 20 DM.