Paralysiert

■ betr.: „Wahrheit tut weh“, taz vom 30.8.94

Da schlucken sowohl Kohls CDU, in der nach dem Krieg eine große Zahl alter Nazis mitgewirkt hat, als auch die FDP 1990 jeweils gleich zwei Blockparteien, die neben der SED zu den mittragenden Säulen des DDR-Systems gehörten, ohne daß man jemals von einer ernsthaften Geschichtsaufarbeitung dieser Parteien gehört hätte – niemand interessiert's, auch die taz nicht.

Da wandelt sich die SED in einem langen Prozeß in die PDS um, versucht, ihre Geschichte aufzuarbeiten und stellt sich auf ein Programm, verschnitten aus links-sozialdemokratischen und grünen Positionen, verliert dabei rund 95 Prozent ihrer Mitglieder – was soll's?

Wandlungsprozesse, die auch die taz den meisten Nachfolgern früherer KPs in Osteuropa oder auch Ex-Kommunisten wie Jelzin und Gorbatschow zubilligt – bei der PDS sind sie für Walter Jakobs offensichtlich nur die Fassade für marxistisch-leninistische Unterwanderungsversuche der „Kommunistischen Plattform“ in der PDS. Was ist diese Plattform? Von ihren Inhalten und der Anzahl ihrer Aktivisten her nicht viel anderes als der linke „Stamokap“-Flügel bei den Jusos der siebziger Jahre. Weder die einen noch die anderen hatten jemals nennenswerten Einfluß auf die Politik ihrer Partei. [...]

Helmut Kohl gebührt jedenfalls großes Lob dafür, daß es ihm gelungen ist, nicht nur „seine“ Medien für seine Kampagne gegen rot-grün einzuspannen, sondern auch das kritischste Gegenmedium zu paralysieren. [...] Horst Schiermeyer, Zittau

Walter Jakobs fordert die „öffentliche Debatte“ gegen das „Gift totalitärer Ideologien“ und zeigt auch gleich, wo es in dieser Debatte langgehen soll: Erledigung der DDR und Legitimierung der (alten und neuen) BRD. Nun ist diese „Debatte“ – wenn man sie denn tatsächlich als solche bezeichnen kann – ja schon eine ganze Weile am laufen und bleibt dabei auf dem Niveau der fünfziger Jahre und des Kalten Krieges stecken, was natürlich zu großen Teilen Absicht und Methode hat. Differenzierung ist dabei, erst recht in Wahlkampfzeiten, nicht gefragt, und nun reiht sich auch Walter Jakobs, respektive die taz, in die antikommunistische Front ein. „Antitotalitärer Konsens“ nennt man das neuerdings. Wer da nicht außen vor bleiben möchte, muß eben auch schon mal den Bundeskanzler verteidigen.

Der historische und (aktuell-)politische Kontext, in dem Jakobs sich befindet, scheint ihm dabei überhaupt nicht klar zu sein.

1. Eine ernsthafte Debatte über Kommunismus, Antikommunismus und beiderseitige Vergangenheitsbewältigung müßte natürlich erstmal wegkommen von dem mystifizierenden Vokabular des Kalten Krieges, das die ehemaligen realsozialistischen Staaten letztendlich als das „Reich des Bösen“ tituliert. Jakobs' Formulierungen („kommunistische Gehirnwäsche“, „ideologische und geheimdienstliche Zentralen“, „auf leisen Sohlen in den Westen getragen“) könnten auch irgendeinem bundesrepublikanischen Gemeinschaftskundelehrbuch aus den fünfziger Jahren entnommen sein: Der Kommunismus ist böse, skrupel- und gottlos und zur Erreichung seiner Ziele sind ihm alle Mittel recht. „Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen“, bemerkte schon Mephisto.

2. Die ausschließlich positive Betrachtung des Antikommunismus durch Jakobs unterschlägt den historischen Kontext und die politische Funktion, die dieser in der Bundesrepublik hatte. Es ging doch innerhalb der Systemauseinandersetzung nicht um bloße Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen in der DDR, sondern primär um Herrschaftssicherung und -legitimierung nach innen. Hierfür erwies sich der Antikommunismus als hervorragendes Vehikel. Zum einen konnte mit ihm – anknüpfend an faschistische Propaganda- und Bewußtseinsreste – ein für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik grundlegender politischer Integrationskonsens geschaffen werden. Zum anderen erwies sich die praktische Fortsetzung des Antikommunismus auf juristischer Ebene als ein erfolgreiches Mittel allgemeiner gesellschaftlicher Repression. Die jeglichen Rechtsstaatsprinzipien widersprechende Kommunistenverfolgung der fünfziger Jahre und das KPD-Verbot von 1956 als deren vorläufiger Höhepunkt trafen eben nicht „nur“ Kommunisten, sondern diskreditierten und bedrohten jede linke (system-)kritische Meinung oder Gruppierung. Letztendlich steht auch Jakobs in dieser Tradition, wenn er der „demokratisch gesonnenen Linken“ pauschal Blindheit gegenüber den „Verbrechen jenseits der Mauer“ vorwirft.

3. Sehr gut in das Bild vom „antitotalitären Konsens“ paßt natürlich auch die Behauptung von Walter Jakobs beziehungsweise seines Kronzeugen Joachim Gauck, ein wirklicher Antifaschist sei immer auch ein Antikommunist. Die alte Totalitarismustheorie feiert fröhliche Auferstehung (wenn sie denn überhaupt jemals tot war) und macht die Bundesrepublik zu einem antifaschistischen Staat und Helmut Kohl zu einem vorbildlichen Antifaschisten. Man könnte lachen, wäre da nicht die offenliegende politische Absicht (und leider auch Erfolg) dieser Legitimierungsversuche. Die Bundesrepublik hat sich daran gemacht, die DDR „aufzuarbeiten“ (wobei das Ergebnis natürlich von vornherein feststand, siehe „Eppelmann- Kommission“), ohne auch nur im geringsten ihre eigene fragwürdige Rolle und Geschichte im Kalten Krieg politisch oder wenigstens moralisch zu überprüfen, geschweige denn in Frage zu stellen. Die Aufdeckung der Verbrechen des „Unrechtsstaates“ DDR soll im Nachhinein und sozusagen endgültig dem eigentlich im Zuge der Ostpolitik der siebziger Jahre überwunden geglaubten Antikommunismus der fünfziger und sechziger Jahre und die daraus resultierende Rechtsprechung und Einschränkung demokratischer Rechte legitimieren. Gleichzeitig wird damit wunderbar abgelenkt von den eigenen faschistischen Traditionen und aktuellen Entwicklungen in Gesellschaft, Staat und Justiz (jüngstes Beispiel ist das Deckert-Urteil). So notwendig eine Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist, so notwendig ist auch die Revision der Geschichte der Bundesrepublik, das eine begingt gezwungenermaßen das andere. In dieser Hinsicht allerdings ist im Moment nicht viel zu erwarten, weder von den DDR-Nostalgikern, noch von den BRD- Rechtfertigern.

4. Wenn Jakobs die Äußerungen des Wahlkämpfers Kohl schon so ernst nimmt, hätte er ja wenigstens noch mal auf die Formulierung „kommunistische PDS“ eingehen können. Denn ernsthaft – also außerhalb des Wahlkampfs, wo solche Formulierungen ja eine bestimmte Funktion haben – kann auch Kohl nicht behaupten, daß es sich bei der PDS um eine kommunistische Partei handelt. Daran ändert auch die zur Zeit vielzitierte und von den Medien aufgebauschte und instrumentalisierte „Kommunistische Plattform“ nichts: Genauso könnte man die SPD aufgrund ihrer wenigen marxistischen Mitglieder als sozialistische Partei bezeichnen. Man kann der PDS ziemlich viel vorwerfen, nicht aber, daß die Partei zur Zeit „eine Klärung ihres ideologischen Standortes“ verweigert. Es ist Wahlkampf, da leisten sich SPD, CDU, FDP und Grüne noch ganz andere Sachen. Ganz abgesehen davon, daß ich eine Klärung des Standortes bei denen schon lange vermisse. Hendrik Bunke, Bremen