■ Tip
: Untersicht

„Haß im Kopf“, heute, 20.40 Uhr, arte

Reality-TV – das war gestern. Jetzt sind die harten Milieu-Thriller im Kommen. Suff, Sehnsucht, Schlägerei: dieses Frustpaket packte am Mittwoch in der ARD bereits Bernd Schadewald mit Schlaglichtern aus der Fußballfanszene. Er baute in das „Schicksalsspiel“ sogar Interviews mit ein.

Derlei Authentizitätsbeweise benötigt Uwe Frießners „Haß im Kopf“ nicht (mehr). Aus der Sicht des zunehmend zweifelnden Mitläufers Fredy (Markus Johannsen), zeigt er den beinharten Alltag einer norddeutschen Fascho-Gang (Drehort: Hitlers einstiger Gewerbepark Wolfsburg): Saufen, Parolen skandieren, sich von Neonazis schulen und aus dem Knast herausholen lassen – schließlich tödliche Brandanschläge. Uwe Frießner riskiert es, die Story ganz aus Fredys Sicht zu erzählen: wie der brutale Vater alkoholumnebelt seine Mutter krankenhausreif prügelt, wie die Skinhead-Kameraden ihm die Illusion von Kraft durch Gemeinheit vorgaukeln und seine Freundin Marina sich angewidert absetzt. Dem Regisseur gelingt es, das heiße Thema ganz tief unten anzusiedeln; ohne verbrämte psychologische oder ideologische Symbolik. Dafür taucht er mit leisem Synthesizer-Moll tief hinab in die dumpfe, brütende, promillegeschwängerte Trostlosigkeit, in der jede Individualität der aggressiven Gruppendynamik zum Opfer fällt. Vielleicht etwas zu simpel.

Die Akteure selbst bleiben sprachlos, hängen einfach nur ab, scheinen die Folgen ihres Tuns selbst nicht zu realisieren oder wahrhaben zu wollen. Auch Fredy bleibt ambivalent: ein schmächtiger, introvertierter Siebzehnjähriger mit blassem Blick, der wie im Reflex Ausländer anspringt, aber wegen Mutter und Vaters neuem häuslichen Prügelopfer, einer Obdachlosen, verzweifeltes Mitleid kriegt. Schließlich beendet die Polizei die Story – aber nicht den Spuk. Suff und Spannung bleiben. Das Reality-Movie bedrückt als kaum gefilterter Frontbericht – aber gerade durch die offengelegte Irrationalität macht es die Zuschauer nicht minder sprachlos als die Akteure. Als Mahnung kommt der im vergangenen Winter gedrehte Film ohnehin zu spät.Dieter Deul