■ Geht die kommunale Selbstverwaltung den Bach runter?: Finanzen – Realität der Freiheit
Als das Bundesverwaltungsgericht in Berlin vor vierzehn Tagen urteilte, die Stadt Kassel habe zu Recht eine kommunale „Verpackungssteuer“ erhoben, geriet ein eher randständiges Problem der Abfallwirtschaft in die öffentliche Diskussion. Handelte es sich doch bei den nicht wieder verwendbaren Verpackungen, bei dem Plastikgeschirr für Speisen und Getränke, die zum „Verzehr an Ort und Stelle“ verkauft werden, um vergleichsweise geringe Mengen. Dennoch ist das Urteil für die Kommunen wichtig. Denn es stärkt eine der wenigen Steuerquellen, die von den Gemeinden ausgestaltbar sind. Das Gericht hat nämlich den von den Klägern vorgebrachten Einwand zurückgewiesen, der Bund habe durch die Verabschiedung von Abfallgesetz und Verpackungsverordnung diesen Bereich abschließend geregelt, weswegen die von den Ländern den Kommunen übertragene Gesetzgebungskompetenz bei den örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern in diesem Falle nicht ausgeübt werden dürfe.
Finanzautonomie?
Eine wesentliche Verbesserung der Finanzsituation der Gemeinden ist allerdings über die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern, zu denen unter anderem die Hundesteuer, Getränkesteuer, Vergnügungssteuer und Zweitwohnungssteuer gehören, nicht zu erreichen. Bei den Steuereinnahmen sind die Gewerbesteuer und der Anteil an der Einkommensteuer entscheidend für die Entwicklung der Kommunalfinanzen. Deren Aufkommen wird durch die Konjunktur wie durch die gesetzlichen Regelungen des Bundes bestimmt. Während Bund und Länder nach dem Grundgesetz originäre Hoheitsgewalt und daher Staatsqualität besitzen, können sich die Städte und Gemeinden nur auf die in Artikel 28 Grundgesetz geregelte kommunale Selbstverwaltung berufen. Die allerdings ist hinsichtlich der Finanzautonomie nur schwach abgesichert. Folglich spielen die Kommunen im Verteilungskampf um die staatlichen Einnahmequellen keine Rolle, während es den Ländern, zuletzt bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, gelingt, dem Bund Zugeständnisse abzutrotzen.
Seit der Abschaffung der Lohnsummensteuer im Zuge der Finanzreform 1969 sind – Folge der unzureichenden verfassungsrechtlichen Absicherung – die konjunkturunabhängigen Elemente der kommunalen Steuereinnahmen durch Eingriffe in die Gewerbesteuer fortlaufend geschwächt worden. Die gezielte Demontage kommunaler Finanzautonomie setzte sich fort, als nach der Vereinigung die Erhebung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern ausgesetzt wurde. Trotz der grundgesetzlichen Realsteuergarantie scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis im Zuge der Unternehmensteuerreform entweder die Gewerbekapitalsteuer oder aber die Gewerbesteuer insgesamt abgeschafft wird. Die von der gemeinsamen Verfassungskommission vorgeschlagene Änderung in Artikel 28 Grundgesetz, nach der sich das kommunale Selbstverwaltungsrecht auch auf die Finanzausstattung beziehen soll, wird diese Entwicklung nicht verhindern können. Zu Recht fordert daher der Deutsche Städtetag eine stärkere Absicherung des Selbstverwaltungsrechts der Städte und Gemeinden. Er verlangt die Beteiligung der Kommunen an der Vorbereitung von Gesetzen, die ihre Belange unmittelbar berühren. Artikel 28 Grundgesetz soll dahingehend ergänzt werden, daß bei finanzieller Mehrbelastung der Gemeinden durch gesetzlich übertragene Aufgaben zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Ferner sollen die Gemeinden auch bei Stellungnahmen des Bundes zu Entwürfen von EU- Verordnungen und -Richtlinien beteiligt werden.
Verstaatlichungstendenz
Der Deutsche Städtetag wendet sich damit gegen die Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Verstaatlichung kommunalen Handelns. Wo früher die örtliche Gemeinschaft ihre Angelegenheiten ohne Eingriffe des Staates regeln konnte, ist sie heute zunehmend nur noch ausführendes Organ von Bundes- oder Ländergesetzen. Sie vollzieht, die Kosten werden ihr mehr oder weniger vollständig zurückerstattet. Dieser Prozeß wird via Brüssel durch das stetig anschwellende EG-Recht noch verstärkt. Die Überlagerung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts durch Gesetze des Bundes, der Länder und das EU-Recht kann nur wirkungsvoll begrenzt werden, wenn die kommunale Selbstverwaltung im Grundgesetz viel wirkungsvoller verankert wird. Da die Realität einer Verfassung durch die Finanzen bestimmt wird, ist die Finanzausstattung der Kommunen im Grundgesetz ein Test auf die Realität der kommunalen Freiheit. Der Deutsche Städtetag schlägt jetzt die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer vor und erhofft sich darüber einen Ausgleich für die strukturellen Einnahmeverluste bei der Gewerbesteuer, die gleichwohl erhalten bleiben soll. Die Verteilung des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer soll nach einem wirtschaftsbezogenen Schlüssel erfolgen, der durch die Lohnsummen und das Betriebsvermögen bestimmt wird.
Der Vorschlag zielt darauf ab, die inzwischen überwiegend gewinnabhängige Gewerbesteuer, die längst zu einer Steuer für Großbetriebe geworden ist, durch einen gewinnunabhängigen Umsatzsteueranteil zu ergänzen und dadurch zu erreichen, daß die kommunalen Steuereinnahmen verstetigt werden. Im Unterschied zur Gewerbesteuer haben die Gemeinden allerdings bei dem vorgeschlagenen Anteil an der Umsatzsteuer kein Hebesatzrecht, verzichten daher auf einen wesentlichen Bestandteil kommunaler Finanzautonomie. Es ist nachvollziehbar, daß der Deutsche Städtetag nach jahrelangen Auseinandersetzungen um die Reform der Gemeindefinanzen durch einen Kompromißvorschlag hofft, die Gewerbesteuer retten und zugleich eine ertragsunabhängige Steuerquelle für die Gemeinden erschließen zu können. In qualitativer Hinsicht ist mit seinem Vorschlag allerdings nichts gewonnen, da der Einfluß der Kommunen auf ihre Einnahmen nicht erhöht wird. Alternativ wäre die Sicherung der Gewerbesteuer und insbesondere der (ertragsunabhängigen) Gewerbekapitalsteuer zu fordern, deren Aufkommen durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen und die Ausdehnung des Kreises der Steuerpflichtigen gesichert werden könnte. Gegenüber der von verschiedenen Bei- und Sachverständigenräten favorisierten neuen Wertschöpfungssteuer hat die Anknüpfung an bestehende Steuern unbestreitbare Vorteile, so daß der Vorschlag dieser Gremien kaum Aussichten auf Verwirklichung haben dürfte.
Im Unterschied zur kommunalen Verpackungssteuer ist ein ökologischer Bezug in der Debatte um die kommunale Finanzreform nicht zu erkennen, und von einem kommunalen Bezug bei den kursierenden Vorschlägen für eine ökologische Steuerreform kann auch keine Rede sein. Die aufkommensneutrale Orientierung des Systems der Steuern und Abgaben an ökologischen Zielen wird aber ohne Einschnitte in die Finanzverfassung nicht möglich sein. Dabei würde es darum gehen, zugleich die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden gegenüber den zentralstaatlichen Ebenen zu stärken. Joachim Larisch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen