Nach dem Sturm gehen die Boote wieder aufs Meer

■ USA und Kuba verhandeln über Beendigung der Flüchtlingskrise

Havanna (taz) – Mit zwei explizit versöhnlichen Gesten ist die kubanische Regierung in die Verhandlungen mit den USA gegangen, in denen seit gestern in New York um eine Beendigung der Flüchtlingskrise zwischen beiden Ländern gepokert wird. Nachdem Kubas Präsident Fidel Castro seinem Volk vor drei Wochen die Flucht übers Wasser pauschal freigab und damit einen Massenexodus auslöste, hat er im Vorfeld des New Yorker Treffens eine erste Einschränkung verfügt: Fortan dürfen keine Kinder und Jugendlichen mehr auf den halsbrecherischen Flößen mitgeführt werden, auf denen die Flüchtlinge die Insel verlassen. Von den USA wurde diese Maßnahme umgehend begrüßt. In Kuba heißt sie in der Praxis vor allem: Polizei und Küstenwache nehmen wieder ihre Aufgabe als Ordnungshüter wahr und haben alle Flüchtlinge künftig zumindest zu kontrollieren.

Die zweite Geste an die USA ist Fidel Castros Ankündigung, daß Kuba den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen will – ein Schritt, gegen den die Regierung in Havanna sich lange und vehement gesträubt hat. Wenige Tage vor den Verhandlungen mit den USA ist die Botschaft unübersehbar: Kuba stellt keine Bedrohung dar, die kubanische Regierung ist berechenbar, vernünftig und auf keinerlei atomare Abenteuer à la Kim Il Sung aus.

An einer Beendigung der Massenflucht Tausender Kubaner haben in der Tat beide Seiten Interesse: Die USA ganz offensichtlich, weil sie die Flüchtlinge nicht aufnehmen will. Aber auch Kuba: Die Ventilfunktion der Auswanderung mag politisch Luft geben – wirtschaftlich gesehen waren die Negativschlagzeilen der letzten Woche jedoch eine Anti-Tourismus-Kampagne gigantischen Ausmaßes, die Kuba vermutlich teuer zu stehen kommt.

Und nach der katastrophalen Zuckerrohrernte dieses Jahres ruhen die Devisenhoffnungen der sozialistischen Insel mehr denn je auf den sonnenhungrigen Europäern und Kanadiern, die jetzt ihre Winterflucht in die Karibik buchen müßten. In Havanna hat derweil insbesondere die Benennung der kubanischen Verhandlungskommission Aufsehen erregt: Sie wird angeführt von Ricardo Alarcón, dem wohl erfahrensten Diplomaten des Landes, der bis vor zwei Jahren Außenminister war – und eben nicht von dem jetzigen Außenminister, dem jung-dynamischen Aufsteiger Roberto Robaina, der über Nacht vom hemdsärmeligen Chef des Kommunistischen Jugendverbandes zum obersten Diplomaten Kubas emporgefallen war.

Die vergangenen Tage haben bemerkenswerterweise auch den politischen Abgang von General Sixto Batista erlebt, dem „Erfinder“ der in der Tat berüchtigten „Brigaden der schnellen Antwort“, die jegliche Unmutskundgebung von Regierungsgegnern im Keim ersticken sollen (und dabei auch schon einige unrühmliche Erfolge hatten). In seiner eigentlichen Funktion war General Sixto Batista jedoch „Nationaler Koordinator“ der in ganz Kuba in jedem Block organisierten „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ (CDR), der zahlenmäßig größten und flächendeckendsten Institution des Staates Castros.

Gerade die Revolutionskomitees sind jedoch in den letzten Jahren einer zunehmenden Erosion ihrer sozialen Basis und Einschlaftendenzen ihrer Mitgliedschaft ausgesetzt gewesen. Dies aufhalten soll jetzt ein junges Gesicht: Juan Contino, bislang Chef des Kommunistischen Jugendverbands. Fidel Castro hatte ihn insbesondere für sein energisches Auftreten gegen den Aufruhr am 5. August öffentlich gelobt.

Währenddessen hat sich an der Nordküste Kubas das schlechte Wetter verzogen, und die durch den Sturm unterbrochene Massenflucht übers Meer nimmt ihren Lauf. Die Schwarzmarktpreise für LKW- oder Traktorreifen, die zum Floßbau taugen, liegen schon bei 30 bis 40 Dollar das Stück, Tendenz steigend.

Sogar mitten im Zentrum von Havanna stechen bei Sonnenuntergang die Flöße der Flüchtlinge in See. Und jedes Floß, das fährt, erhöht den Druck auf die USA und stärkt die Verhandlungsposition der kubanischen Delegation in New York. Thomas Rahn