Nach dem Kompromiß im Vermittlungsausschuß haben die heutigen Pächter auf dem vor 1949 von den Sowjets enteigneten Land Rechtssicherheit / Die Alteigentümer stellen allerdings noch einmal die gesamte Regelung in Frage und zitieren Gorbatschow / Eine Zusammenfassung der komplizierten Materie Von Dieter Rulff

Die Junkershand im Bauernland

Vier Worte des ehemaligen Präsidenten der UdSSR Michael Gorbatschow haben gereicht, um die Bevölkerung ganzer Landstriche Ostdeutschlands zu beunruhigen, um einen Konflikt wieder virulent werden lassen, den Bundestag und Bundesrat gestern in ihrem Vermittlungsausschuß entschärfen wollten und um die Bundesregierung in Erklärungsnotstand zu bringen — sie steht im Ruch, das höchste deutsche Gericht belogen zu haben. „Nein, das stimmt nicht“, hatte Gorbatschow auf die Frage des britischen Historikers Norman Stone geantwortet, ob die sowjetische Seite bei den Zwei- plus-Zwei-Verhandlungen ein Junktim zwischen der Zustimmung zum Vertrag und der Zusicherung von deutscher Seite gegeben habe, die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 zu respektieren: „Ist es wahr, daß gerade Sie auf ein Verbot solcher Restitution in der Zukunft bestanden haben?“

Frage und Antwort, in ihrer Drögheit eher dazu angetan, darüber an Kaminabenden zeitgeschichtliche Betrachtungen anzustellen, verfehlten, als sie am Wochenende von der FAZ veröffentlicht wurden, ihre Wirkung nicht, treffen sie doch einen neuralgischen Punkt der Eigentumsregelungen für rund ein Drittel der landwirtschaftlichen Flächen der ehemaligen DDR, insgesamt 3,3 Millionen Hektar. (s. Kasten)

Zu DDR-Zeiten gingen sie in Staatsbetriebe und LPGs über. Ein Großteil, insgesamt 1,3 Millionen Hektar, wird heute von der Treuhand verwaltet. Die darauf arbeitenden LPG-Nachfolgegesellschaften konnten sich ihres Grundes und Bodens halbwegs sicher sein, war doch im Einigungsvertrag festgelegt, daß „die Enteigungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen (sind)“. In dem Vertrag wird darauf verwiesen, daß die Regierung der DDR und der UdSSR „keine Möglichkeit sehen“, die Bodenreform zu revidieren. Die Irreversibilität wurde schließlich in Paragraph 143 des Grundgesetzes festgeschrieben. Wie der ehemalige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière gegenüber der taz erklärte, war die Bundesregierung damals der gegenteiligen Auffassung: „An und für sich seien alle Enteignungen rückgängig zu machen, so auch die zwischen 1945 und 1949 vorgenommenen.“ Als Kompromiß wurde deshalb, auf Vorschlag de Maizières, im Einigungsvertrag festgelegt, daß einem künftigen gesamtdeutschen Parlament die Entscheidung über „etwaige staatliche Ausgleichsleistungen“ für die Alteigentümer vorbehalten bliebe. Die Sicherheit der Bauern in den fünf neuen Ländern schwand jedoch in dem Maße, wie diese Ausgleichsmaßnahmen nach dem Willen der Bundesregierung auch die Möglichkeit der Rückgabe des Landes an die Junker und ihre Rechtsnachfolger enthielt. Durch den Kompromiß des Schlichtungsausschusses wurde diese Unsicherheit beendet: Nicht nur die Alteigentümer, sondern auch die heutigen Pächter erhalten Vorzugsbedingungen für den Kauf des Landes.

Bleibt die Äußerung Gorbatschows, die die Regelung insgesamt in Frage stellen könnte. Noch gestern zitierte die FAZ den früheren Präsidenten des Oberlandesgerichts Braunschweig Wassermann. Die jetzige Aussage Gorbatschows ziehe das damalige Handeln der Bundesregierung in „ganz große Zweifel“, deshalb werde auch das Bundesverfassungsgericht seine diesbezüglichen Entscheidungen überprüfen müssen. Schon 1991 hatten die Alteigentümer gegen die oben zitierte Regelung des Einigungsvertrages geklagt, die sie von der Maxime „Rückgabe vor Entschädigung“ ausschloß. Damals hatte die Bundesregierung als Beklagte unter anderem damit argumentiert, daß bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen die sowjetischen Seite, aber auch die damalige DDR-Regierung auf der Irreversibilität der 1945 bis 1949 unter Besatzungshoheit vorgenommenen Maßnahmen bestanden habe. Anderenfalls wäre die deutsche Vereinigung gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht folgte dieser Argumentation, als es die Klage der Alteigentümer ablehnte und ihnen lediglich eine Ausgleichsleistung zusprach. Der Rechtsanwalt der Alteigentümer, Albrecht Wendenburg, meinte schon damals, daß es sich bei dem Urteil um den „größten Verfassungsskandal in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“ handele. Er bezichtigte den Staatssekretär im Außenministerium Kastrup eine falsche Aussage gemacht zu haben, als er den Verlauf der Verhandlungen vor den Karlsruher Richtern schilderte. Nach Ansicht der Alteigentümer sei es der Sowjetunion bei den Verhandlungen lediglich um die Anerkennung der Legitimität und die Nichtrevision der Rechtmäßigkeit der von ihnen zwischen 1945 und 1949 getroffenen Maßnahmen gegangen, nicht jedoch um die faktische Unumkehrbarkeit der Enteignungen. Diese Version erhält nun durch Gorbatschows Äußerung neue Nahrung.

Im kommenden Frühjahr werden sich die Karlsruher Richter erneut mit der Materie befassen, wenn sie über zwei weitere Klagen auf Restitution verhandeln.

Mit der Äußerung Gorbatschows steht für die Bundesregierung zweierlei auf dem Spiel. Zum einen besteht die, wenn auch vage Möglichkeit, daß das Bundesverfassungsgericht dem sowjetischen Premier Glauben schenkt und ein Urteil in gleicher Sache mit einem anderen Tenor fällt.

Diese Möglichkeit wird allerdings dadurch eingeschränkt, daß das Bundesverfassungsgericht sein Urteil vom April 1991 nicht allein auf die Beweisführung stützte, daß die Sowjetunion die Irreversibilität der Bodenreform zur condition sine qua non des Zwei-plus-vier- Vertrages gemacht hat, sondern daß auch die DDR auf dieser Regelung bestanden habe.

Über die Auswirkungen, die eine Neuverhandlung auf mögliche Entschädigungs- und Ausgleichsregelungen hätte, läßt sich zur Zeit nur spekulieren. Bereits die jetzigen Regelungen werden mit 12,1 Milliarden Mark in der Staatskasse zu Buche schlagen.

Zum anderen muß sich die Bundesregierung mit der Gorbatschow-Äußerung schon jetzt dem Vorwurf stellen, das Bundesverfassungsgericht belogen zu haben, ein in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte immerhin, sofern öffentlich nachgewiesen, einmaliger Vorgang. Entsprechend groß war die Verwunderung über die Äußerung Gorbatschows und entsprechend heftig ihr Bemühen, dessen Version zu entkräften. Sie kann sich dabei auf mehrere Zeugen und Belege stützen:

– In einem der sowjetischen Positionspapiere während der Zwei- plus-vier-Verhandlungen vom Juni 1990, daß Regierungssprecher Dieter Vogel dieser Tage zitierte, heißt es zum Inhalt einer abschließenden Regelung: „Anerkennung der Legitimität und Unumkehrbarkeit der Maßnahmen, die von den vier Mächten in ihren Besatzungszonen zu politischen, militärischen, wirtschaftlichen Fragen getroffen wurden.“ Diese sowjetische Position sei auch beim Außenministertreffen am 22. Juni 1990 deutlich geworden.

– Der ehemalige stellvertretende Außenminister der Sowjetunion Kwizinskij erklärte, es habe die Forderung nach Unumkehrbarkeit gegeben.

– De Maizière erklärte, es habe einen Beschluß des Politbüros der KPDSU vom Mai 1990 gegeben, daß an den Ergebnissen der Bodenreform nicht zu rütteln sei. Er selbst habe darüber bei einem Moskau-Besuch mit Gorbatschow geredet.

– Der damalige Außenminister der UdSSR Eduard Schewardnadse habe zur gleichen Zeit seinem Kollegen aus der DDR, Markus Meckel, ein Aide-mémoire entsprechenden Inhaltes überreicht.

– Schon im April habe ihm der damalige Botschafter der UdSSR in der DDR, Wjatscheslaw Kotschemasow, ein sogenanntes non- paper überreicht, in dem ausdrücklich die Irreversibilität aller Maßnahmen, die auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgt sind, festgeschrieben worden sei.

– Drei Monate zuvor, im Januar habe der sowjetische Botschaftsrat Maximytschew die sowjetische Position signalisiert.

Maximytschew hat mittlerweile de Maizières Position bestätigt. Die Regierungen der DDR seien mit Moskau einig gewesen, an der Bodenreform festzuhalten. Denn für den Fall, daß die nach dem Krieg erfolgten Enteignungen rückgäng gemacht würden, seien erheblichen Unruhen befürchtet worden. Deshalb sei er schon sehr früh von der Regierung Modrow vertraulich gebeten worden, nicht alles rückgängig zu machen.

– Eine entsprechende Erklärung will Modrow im März 1990 auch Gorbatschow übermittelt haben. Wie Modrow erklärte, habe er daraufhin keinen negativen Bescheid erhalten.

Weshalb Gorbatschow trotzdem behauptet, die Forderung nach Irreversibilität der besatzungsrechtlichen Maßnahmen sei nicht von sowjetischer Seite erhoben worden, kann sich de Maizière nur mit einem eigentlich urdeutschen Phänomen erklären. Gorbatschow habe einen „merkwürdigen Blackout“ gehabt. Ihn verwundere, wenn der Generalsekretär nichts von der Verhandlungslinie wisse, die in seinem Politbüro festgelegt worden war. Was de Maizière verwundert, hält Maximytschew als Kenner der Szenerie jedoch für durchaus möglich. Daß Gorbatschow mit der Frage der Enteignungen nicht befaßt gewesen sein will, begründet er damit, daß darüber während der Zwei- plus-Vier-Verhandlungen im Politbüro nicht diskutiert wurde. Denn das Festhalten an der Bodenreform sei selbstverständlich gewesen. Was für das Politbüro angeblich selbstverständlich war, muß für den Präsidenten jedoch nicht zwingend gewesen sein. Gorbatschow schränkt seine verneinende Antwort gegenüber Stone in einem Nachsatz ein: „Auf meiner Ebene als Präsident der UdSSR wurde diese Frage nicht erörtert und von einer Alternative: entweder ein Verbot für Restitutionen oder der Große Vertrag – konnte schon gar keine Rede sein.“ Will man dem Präsidenten der Sowjetunion keine temporäre Geistesschwäche unterstellen, würde dies bedeuten, daß er in die die Bodenreform betreffenden Verhandlungen nur partiell eingeweiht war. Die wesentliche Linie wäre demnach von den Vertretern der DDR vorgebracht, von den Verhandlungsführern der Sowjetunion auch in deren Interesse übernommen und gegenüber der Bundesregierung durchgesetzt worden. Ein letzter Dienst der einst führenden Kraft des Sozialismus für ihr Brudervolk. Dieter Rulff