Die alte Cordhose ist wieder da

Secondhand-Klamotten sind in / In Berlin boomt sogar der Tourismus damit – selbst Südeuropäer kaufen hier die billigen Fummel  ■ Von Tomas Niederberghaus

Es gibt Dinge im Leben eines werdenden Mannes, die haßt er wie die Pest. „Nachtragen“, ein zugleich geflügeltes Wort meiner Mutter, ist so ein Ding. Hemden, Hosen und Jacken, aus denen mein Bruder herausgewachsen war, landeten auf meiner Haut zur Zweitverwertung. Natürlich waren auch tolle Fummel dabei. Wenn mir bestimmte Klamotten jedoch ein Dorn im Auge waren, versuchte ich einen Deal mit Oma: Sie galt als Koryphäe auf dem Gebiet der Schneiderei und konnte der Familie mit Sachverstand klarmachen, daß bestimmte Teile meinen Körper nicht zierten. Im Gegenzug versprach ich ihr, sie bei einer ihrer Reisen zu Tante Hedwig oder Onkel Hermann zu begleiten. Das klappte oft ganz prima. Andernfalls kam ich eines Abends zurück und der hübsche Pulli war a) an einem Zaun zerrissen oder b) mit viel Farbe bekleckert oder c) im Freibad vergessen (und nicht wiederzufinden). Ganz einfach.

In den dicht beieinander liegenden Secondhand-Läden in der Bergmannstraße werden heute jene unter c) ausrangierten Pullis als Tophits der Herbstsaison '94 präsentiert. Und nicht nur die. Bei „Colours“ beispielsweise sind auch gebatikte Viskosehängerchen mit Pailletten, rosafarbene Wollwesten (gehäkelt!!), schwarze Anzüge, dunkelblaue Dufflecoats (die echten) und Pseudo-Krokotaschen zu haben. „Schäkond Händ“, zischt die 15jährige Hamburgerin Sabine durch ihre Zahnspange, „isch escht geil.“ Mit ihren Freunden suhlt sie sich in Anprobezeremonien und trimmt sich mit Techno-Trikots für den Herbst. Sekundenschnell klackern die Kleiderbügel gegeneinander. „So 'n Angebot“, zischt Sabine weiter, „gibt's in keiner anderen deutschen Stadt.“

So wundert es kaum, daß der „Colour“-Filialleiter Dirk Schulte von einem Secondhand-Tourismus nach Berlin spricht. „Die Leute kommen von überall her, selbst aus Südeuropa.“ Auch die Preise in Berlin seien einzigartig. Farbskalen weisen bei Colours auf die Preise hin: brauner Punkt gleich zwei Mark, grauer Punkt (Höchstpreis) gleich 59 Mark – an jedem Teil baumelt ein bunter Fleck. Die Etage ist mehrere hundert Quadratmeter groß. „Eine Levi's“, sagt Filialleiter Dirk, „würde ich mir nie neu kaufen. Die sehen doch total scheiße aus.“ Markenfetischisten gibt's in der Secondhand-Scene genauso wie unter den Kudamm-Bummlern.

Man findet alles, und man findet vieles nicht vielfach. Das ist es, was Emeti Genc neben den günstigen Preisen schätzt. Wie eine Fee schwebt die 24jährige Geologiestudentin im gelben Etuikleid aus der stählernen Umkleidekabine. „Das ist aus den fünfziger Jahren“, sagt sie, „ich werde es aufbügeln, dazu ziehe ich high-heels oder platforms an und fertig.“ Neben ihr steht ein Typ und bestaunt seinen knackigen Arsch in mindestens sieben verschiedenen 501. Emeti geht vornehmlich in große Läden. Nicht nur wegen der Auswahl. „In den kleinen müffelt es manchmal so furchtbar“, sagt sie.

Auch dort geht es schreiend- grell und schrill zu. Beispielsweise im „Treibstoff“, – zwar passen die Visa- und Diners-Card-Aufkleber an der Kassenbox nicht so recht zum schmuddeligen Outfit und dem monoton wummernden Sound. Doch immerhin bemühen sich Heike und Eva um eine individuelle Beratung. Heike führt vor, was man aus ausrangiertem Zeug alles machen kann. Eine grobe Strumpfhose umhüllt Arme und Brust der Verkäuferin. Den Kopf bedeckt ein orangefarbenes, tellergroßes Haarkäppi, der Rest ist kahlrasiert. Heike hat konkrete Vorstellungen in Sachen Mode. „Einem Typen“, sagt Heike, „würde ich nie eine Cordhose aufschwatzen.“ Cordhosen seien wirklich „mega unerotisch“. Zu einem richtigen Typen gehöre eine knallenge 501, damit „die Beule“ so richtig zu sehen sei. „Frauen“, sagt Heike, „schauen darauf, wenn sie es auch nicht zugeben wollen.“

„Bei uns bekommt man alle Größen“, verspricht Eva und schielt auf meine drei Jahre alte Firsthand-Garnitur. „Du könntest mehr aus deinem Typ machen.“ Zuerst solle ich mich mal gescheit rasieren, auch meine Jeans sei „eher ein Format für Skateboardfahrer oder Rentner“, und mein Hemd, „naja, ein knappes T-Shirt käme da schon besser.“ Da schleicht sich eine Erinnerung ein. Ab zur nächsten Telefonzelle, Anruf bei meinem Bruder: „Sag mal, hast du noch eine alte Jeans für mich?“