Es sind Wahlen – und keiner will helfen

■ Fast 90 Prozent der Wahlhelfer kommen vom öffentlichen Dienst / Zur Bundestagswahl wurden mehrere Wahlkreise in beiden Stadtteilen neu geschnitten

Wenn Wahlen anstehen, wird in vielen öffentlichen Verwaltungen ein seltsames Ritual zelebriert: Mitarbeiter falten eifrig Zettel, werfen sie in einen Hut, einen Korb oder eine Schale. Bange Minuten vergehen, dann ist das Spiel beendet. Wessen Name gezogen wird, muß als Wahlhelfer ran. Fast 90 Prozent der rund 24.000 Männer und Frauen, die zur Bundestagswahl am 16. Oktober in Berlin von den dafür zuständigen Bezirksämtern verpflichtet werden, kommen aller Voraussicht nach aus der öffentlichen Verwaltung. Berichte aus der Zeit des Kalten Krieges, als sich viele Westberliner freiwillig für das Ehrenamt meldeten, kennt der Referent in der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters, Roland Schlösser „nur noch von Erzählungen älterer Kollegen“. Man könne einfach „konstatieren, daß eine veränderte Haltung zur Gesellschaft sich auch an dieser Stelle auswirkt“, meint der 49jährige.

Grundsätzlich kann jeder deutsche Staatsbürger als Wahlhelfer verpflichtet werden – nur in besonders begründeten Ausnahmefällen, etwa bei alleinerziehenden Müttern mit Kindern, wird davon Abstand genommen. Doch die Inanspruchnahme von Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung ist nicht nur organisatorisch einfacher zu handhaben, sondern auch weitgehend kostengünstiger. Während nämlich Privatpersonen als sogenanntes Erfrischungsgeld 50 Mark (davon 20 Mark als Zuschuß vom Land) für den 16. Oktober erhalten, kostet ein Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung den Bund 30 Mark. Zum Ausgleich erhält der Betroffene nach der Bundestagswahl zusätzlich einen freien Arbeitstag.

Seit rund einem Jahr ist das Team des Landeswahlleiters mit der Organisation der (bereits durchgeführten) Europa- und der anstehenden Bundestagswahl beschäftigt. Einer der heikelsten Punkte war die Festlegung der Wahlkreise. Gegenüber der ersten gesamtdeutschen Wahl von 1990 mußten in Berlin einige Veränderungen vorgenommen werden. Die Wahlkreise hatten sich, so die Vorgabe, möglichst nicht mit den Kommunal- oder Landesgrenzen zu überschneiden. Wie alle vier Jahre hatte die Bundeswahlkommission auch diesmal die Länder aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, um möglichen Wanderungsbewegungen Rechnung zu tragen. Denn grundsätzlich sollen die Wahlkreise annähernd die gleiche Zahl deutscher Staatsbürger aufweisen. Für die Bundestagswahl galt: Jeder der 328 Wahlkreise in der Republik sollte nicht mehr als 300.000 Deutsche – unabhängig davon, ob sie wahlberechtigt sind oder nicht – umfassen.

In Berlin wurde daraufhin das Büro des Landeswahlleiters vom Innensenat aufgefordert, mehrere Vorschläge für neue Wahlkreise zu erarbeiten. Einige brisante Ideen fielen dabei unter den Tisch: So verzichtete man beispielsweise auf den Plan, die Bezirke Kreuzberg und Tempelhof zusammenzulegen. Dies hätte aller Voraussicht nach die in Tempelhof seit jeher starke CDU gegenüber den Grünen benachteiligt. Der Bezirk Tempelhof blieb wie 1990 ein eigener Wahlkreis, mußte allerdings den noch zuletzt gehaltenen südöstlichen Teil von Steglitz an Zehlendorf abgeben. Die ursprüngliche Absicht, mit der Zusammenlegung westlicher und östlicher Wahlkreise die in Ostberlin starke PDS zu schwächen und so ihre Hoffnung auf die Wahl von Direktkandidaten zunichte zu machen, wurde bald wieder fallengelassen. Keiner der etablierten Parteien wollte sich offenbar dem Vorwurf der Kungelei aussetzen.

Die Novellierung des Bundeswahlgesetzes wurde im Dezember 1993 und Januar dieses Jahres im Bundestag verabschiedet. Die Zahl der Berliner Wahlkreise blieb bei insgesamt 13, doch wurde darauf geachtet, möglichst die Bezirke in Gänze zu neuen Wahlkreisen zusammenzulegen. Gehörte beispielsweise vor vier Jahren der südliche Teil von Weißensee noch zum Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg, so bildet nun der gesamte Bezirk Weißensee einen Wahlkreis mit den Bezirken Pankow und Hohenschönhausen. Ähnlich zerstückelt war 1990 auch der Bezirk Lichtenberg, der einen kleineren Teil an den damaligen Wahlkreis Friedrichshain/Treptow abgeben mußte und im übrigen Köpenick zugeschlagen wurde. Lichtenberg wählt nun am 16. Oktober zusammen mit Friedrichshain. Severin Weiland