Ökotourismus à la carte

Eine Reise in das Naturschutzgebiet Cuyabeno im Amazonastiefland Ecuadors: Die Suche nach der unberührten Natur, abgeschirmt von der sozialen Realität. Tourismus als widersprüchlicher Beitrag zum Naturschutz  ■ Von Wolfgang Strasdas

Die Expedition in den Dschungel – in der Werbebroschüre des größten ecuadorianischen Tourismusunternehmens Metropolitan Touring als Reise für den „unerschrockenen Abenteurer“ angekündigt – beginnt in der klimatisierten Lobby des „Oro Verde“. Es ist das teuerste Hotel in der Hauptstadt Quito. Wir besteigen einen komfortablen Kleinbus, wo uns unsere amerikanischen Mitreisenden unbekannterweise herzlich begrüßen. Die Fahrt geht direkt zum Flughafen und von dort in nur vierzig Minuten über die Ostkordillere der Anden ins Amazonastiefland. Beim Ausstieg auf dem am Rande des Naturschutzgebietes Cuyabeno gelegenen Flugplatz werden wir von schwüler Hitze und einer bunten Plakatwand der amerikanischen Erdölfirma City begrüßt, die zum Schutz der Umwelt aufruft.

Soviel zunächst zur Luxusvariante einer Naturreise in den „Oriente“, wie das ecuadorianische Amazonastiefland hierzulande genannt wird. Eine solche Tour kann auch ganz anders beginnen: auf dem lärmigen, abgasgeschwängerten Busbahnhof Quitos. Die Fahrt dauert dann statt vierzig Minuten zwölf Stunden, während deren sich der Bus über einen 4.000 Meter hohen Paß und dann auf holprigen, nicht asphaltierten Straßen bis fast auf Meereshöhe voranquält. Zweifellos ein spektakuläres Landschaftserlebnis, aber nach vielen Stunden in den meist überfüllten, klapprigen Fahrzeugen nervenaufreibend.

Dies ist die „alternative“ Anreisevariante in den Oriente, die nur ein paar gestählte Rucksacktouristen auf sich nehmen. In diesem Fall bleibt einem auch das Erleben Lago Agrios nicht vorenthalten oder erspart – je nach touristischen Präferenzen. Lago Agrio – erst in den siebziger Jahren mitten im Dschungel gegründet – ist die Hauptstadt der örtlichen Amazonas-Provinz Sucumbios und immer noch eine schmuddelige, quicklebendige Pionierstadt voller Erdölarbeiter, Händler, Kneipen, Restaurants, Hotels und Bordelle. Wenn die Äquatorsonne senkrecht auf die halbfertigen Betongebäude und Wellblechhütten fällt, sind die Hitze und die verschiedenen Wohlgerüche des Ortes kaum auszuhalten. Bei den oft stundenlangen sintflutartigen Regengüssen steigt das Wasser, vermischt mit Schlamm und dem allgegenwärtigen Erdöl, in den Straßen an und überschwemmt die Häuser derjenigen, die sich nicht mit kleinen Betonmäuerchen geschützt haben.

Für die meisten Touristen kein schöner Anblick – nicht einmal pittoresk. Lediglich Paul-Bowles- Fans und andere Liebhaber morbider Reiseromane mögen eine gewisse Faszination daran finden, sich in der „Cowboy“- oder der „Rothaut“-Bar sinnlos zu betrinken und anschließend in einer stickigen Absteige mit abblätternder Wandverkleidung unter einem träge flappenden Ventilator ihren Rausch auszuschlafen. Kein Wunder also, daß die meisten Reiseveranstalter ihre Kunden – die kommen, um möglichst unberührte Natur zu erleben – eilig an Lago Agrio vorbeileiten. Dabei verkörpert die Stadt am augenfälligsten die wirtschaftliche Entwicklung des Oriente durch die Entdeckung des Erdöls und die nachfolgende landwirtschaftliche Kolonisierung in den vergangenen zwanzig Jahren. Von den damit einhergehenden zum Teil verheerenden Umweltauswirkungen – wie Gewässer- und Bodenverschmutzungen durch auslaufendes Erdöl sowie die Rodung großer Waldflächen durch landlose Bauern aus dem Anden-Hochland – ist auch das Naturschutzgebiet Cuyabeno direkt betroffen.

Zurück zur luxuriösen Variante einer Reise in das bedrohte Naturparadies: Zwar weist Metropolitan Touring in seiner Informationsbroschüre auf die Gefährdung der Natur hin, sinnlich erfahrbar wird sie für die Ökotouristen jedoch kaum. Ein privater Bus fährt uns vom Flugplatz schnell an den ärmlichen Hütten der illegalen Siedler vorbei an den Rio Aguarico, auf dem die Reise per Motorboot ins Zentrum des Schutzgebietes geht. Die Natur ist hier noch weitgehend unberührt. Ob man bei einer Fußwanderung Affen und Papageien im Laubwerk beobachtet oder in einer der Kajüten des Hotelschiffs „Flotel“ liegt, während draußen ein Regenschauer niedergeht und tropische Galeriewälder mit mächtigen Baumriesen langsam vorübergleiten – es ist traumhaft schön. Rosafarbene Süßwasser- Delphine umschwimmen das Ruderboot beim Überqueren der Lagunen, und die schmalen, mäandrierenden Schwarzwasserflüsse, deren Farbe von gelösten Humusstoffen herrührt, irritieren den Blick. Auf ihrer Oberfläche wird die Ufervegetation perfekt widergespiegelt.

Und selbst der kritische Ökotourist kann sein Umweltgewissen einigermaßen beruhigen. Zwar erfolgte die Anreise per Flugzeug und mit lärmenden Motorbooten, dafür wird aber in den Touristenhütten die Energie aus Sonnenkollektoren gewonnen, auf Klimaanlagen verzichtet, organische Abfälle kompostiert und sonstiger Müll wieder aus dem Schutzgebiet hinausgebracht. Pedro Proano, der Manager dieses Programms von Metropolitan Touring, weiß, daß Umweltengagement bei seinen „Regenwald-Kunden“ gut ankommt. Es zahlt sich langfristig aus. Für viel Geld bietet er ein exklusives Naturerlebnis unter fachkundiger Führung, mit hervorragendem Service. Und all dies perfekt abgeschirmt von der Unbill der tropischen und sozialen Umwelt.

Wie in anderen Naturschutzgebieten der „Dritten Welt“ wird auch in Cuyabeno diskutiert, ob Ökotourismus eine umweltverträgliche wirtschaftliche Alternative zur Erdölförderung und zur Land- und Viehwirtschaft im Reservat darstellen könnte. Daß diese Aktivitäten extrem umweltschädlich und eigentlich illegal sind, hat bisher kaum jemanden gestört. Die im Gebiet lebenden, nur einige hundert Personen zählenden Indianer und eine Handvoll Naturschützer von außerhalb standen lange Zeit auf verlorenem Posten gegen die übermächtige Erdölindustrie. Denn diese erwirtschaftet den Löwenanteil der Deviseneinnahmen Ecuadors. Sie haben auch keine Chance gegen die Flut der landlosen Kleinbauern, die aus anderen Teilen des Landes in den Oriente drängen in der Hoffnung, sich dort wenigstens eine einigermaßen erträgliche Existenz aufzubauen.

Mit den touristischen Unternehmen, von denen einige, wie etwa Metropolitan, im Besitz politisch einflußreicher Familien sind, hat der Naturschutz unerwartete Verbündete bekommen. Abgeholzte, zersiedelte Wälder und ölverschmutzte Flüssen lassen sich eben nicht für viel Geld als touristische Attraktionen verkaufen. Auch für die bisher weitgehend tatenlose Naturschutzbehörde stellen die Einnahmen aus dem Tourismus (in Cuaybeno 20 US-Dollar pro Besucher) eine lukrative Finanzierungsquelle dar. Mit der Rückendeckung der Tourismusindustrie untersagte die Behörde der staatlichen Erdölgesellschaft Petroecuador kürzlich weitere Probebohrungen im Naturschutzgebiet. Die Cofanes – eine indianische Volksgruppe Cuaybenos – konnten es sogar wagen, militant gegen illegale Installationen der Erdölfirmen vorzugehen, ohne daß das Militär eingriff.

Ökotourismus also als Verbündeter und Förderer des Naturschutzes? Das Beispiel der Galapagosinseln – der beliebtesten Destination von Ökotouristen in Ecuador – zeigt, daß dieselben Reiseveranstalter, die sich in bezug auf das Amazonastiefland als be

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sonders umweltfreundlich präsentieren, rücksichtlos auf Wachstum setzen und keinesfalls bereit sind, ökologische Tragfähigkeitsgrenzen zu akzeptieren, wenn ihr Geschäft darunter leiden könnte.

Ein weiteres Problem besteht darin, daß von den durchschnittlich 100 US-Dollar, die für eine organisierte Reise nach Cuyabeno pro Tag berappt werden müssen, nur etwa 15 bei der lokalen Bevölkerung landen, weil die meisten Touren von Quito aus durchgeführt werden. An den zugewanderten Siedlern geht das Tourismusgeschäft fast vollständig vorbei. Von den im Schutzgebiet lebenden Indianern arbeiten zwar viele für die Naturreiseveranstalter, aber meist zu minimalen Löhnen. Angesichts der hohen Profite sind diese eine Zumutung. Anreize zum Verzicht auf Rodungen und Jagd kann Ökotourismus jedoch nur dann bieten, wenn selbstbestimmte oder zumindest gerechtere Verdienstmöglichkeiten geschaffen werden.

Ansätze in dieser Richtung sind vorhanden: Für 40 bis 50 Dollar pro Tag kann der weniger begüterte Rucksacktourist in Lago Agrio einen einheimischen Führer engagieren, wobei allerdings darauf geachtet werden sollte, daß dieser im Besitz einer Lizenz der Naturschutzbehörde ist. Sonst schafft man zwar lokale Einkommen, hat aber einen illegalen Führer, der unter Umständen mit der Umwelt nicht besonders zimperlich umgeht. Eine andere Möglichkeit ist „Aguarico Trekking“, ein Joint-venture von Metropolitan Touring und den Cofanes-Indianern. Das einwöchige Programm (Kostenpunkt: 100 Dollar pro Tag) umfaßt geführte Touren im indianischen Territorium, mit Unterbringung in einfachen Hütten am Rande des Dorfes. Die Cofanes selbst beurteilen das Joint-venture sehr positiv und haben es durch ihre Aktivitäten im Ökotourismus vergleichsweise zu einigem Wohlstand gebracht.

Weiterführende Literatur existiert bisher leider nur auf englisch:

Elizabeth Boo (WWF): „Ecotourism – The Potentials and Pitfalls“, Washington 1990

Federation of Nature and National Parks of Europe: „Loving them to Death? – Sustainable Tourism in Europe's Nature and National Parks“, Grafenau 1993

The Ecotourism Society: „Ecotourism – A Guide for Planners and Managers“ und „Ecotourism Guidelines for Nature Tour Operators“, N. Bennington 1993

Die Ecotourism Society gibt außerdem einen vierteljährlichen Newsletter heraus. Bezugsadresse: P.O. Box 755, North Bennington, VT 05257, USA.

„Ökotourismus als Instrument des Naturschutzes?“ ist der Titel eines Forschungsprojekts, das sich zur Zeit beim BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) in Bearbeitung befindet. Veröffentlichung ist im Herbst geplant.