Assad will den Frieden überleben

Syrer und Israelis sind sich über die Prinzipien eines Abkommens einig. Jetzt wird über Details verhandelt. Doch wie verkauft der syrische Herrscher seinem Volk den Frieden?  ■ Aus Damaskus Kristoph Kandet

Stecken die syrisch-israelischen Verhandlungen in einer Sackgasse, oder feilen an geheimem Ort Delegationen beider Staaten an letzten Details eines Friedensabkommens? In Damaskus kursieren beinahe täglich neue, zumeist widersprüchliche Gerüchte über Fort- oder Rückschritte im Friedensprozeß zwischen beiden Staaten.

„Syrien hat aus den Erfahrungen, die Palästinenser und Jordanier mit den Israelis gemacht haben, gelernt“, meint ein syrischer Politologe. Es sei ein Fehler gewesen, zuerst eine gemeinsame Deklaration zu unterschreiben und anschließend über die Details eines Friedensschlusses zu verhandeln. Die Strategie von Syriens Staatschef Hafis al-Assad beruhe darauf, von Anfang an alle strittigen Fragen zu verhandeln.

Anders als Jordaniens König Hussein Ibn Talal und PLO-Chef Jassir Arafat fühlt sich al-Assad nicht unter Druck, schnell ein Abkommen mit Israel zu unterschreiben. Arafat mußte die von den Israelis offerierte Teilautonomie akzeptieren, weil die PLO vor der Unterzeichnung des Abkommens vor dem Zusammenbruch stand. Jordanien brauchte einen Kontrakt mit Israel, um aus der schwersten ökonomischen Krise seiner Geschichte zu kommen. Syrien befindet sich dagegen im wirtschaftlichen Aufschwung. Jüngst entdeckte Erdölvorkommen füllen die Staatskasse mit jährlich 1 bis 1,5 Milliarden US-Dollar. Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft verringerten die Abhängigkeit von Importen. Al-Assads anti- irakische Politik während der Golfkrise verschaffte Syrien großzügige Hilfen von den Golfstaaten.

„Ein Sprichwort lautet: Der Teufel steckt im Detail“, erklärt ein Politiker der regierenden Baath-Partei. Israelis und Syrer hätten längst eine Vereinbahrung über die Prinzipien eines Friedensvertrags erzielt, jetzt werde über Details gefeilscht. „Je ausführlicher man Einzelheiten diskutiert, umso komplizierter werden Verhandlungen.“ Nach seiner Darstellung drehen sich die syrisch-israelischen Gespräche um drei Punkte.

Der erste sei der israelische Abzug von den Golanhöhen. Israel hat angeboten, seine Soldaten innerhalb von drei Jahren abzuziehen. Die Syrer fordern jedoch, daß dies binnen wenigen Monate geschieht. Weiterhin verlangen sie, daß sich die Israelis bis hinter jene Linie zurückziehen, die vor Beginn des Krieges im Juni 1967 die Grenze zwischen beiden Staaten bildete. Die israelische Regierung ist bisher nur bereit, jene Grenze zu akzeptieren die bis zur Gründung Israels im Jahr 1948 zwischen dem britischen Mandatsgebiet in Palästina und Syrien bestand. Der Unterschied zwischen beiden Varianten beträgt nur wenige Quadratkilometer, jedoch befinden sich auf dem umstrittenen Streifen wichtige Wasserquellen.

Der zweite Knackpunkt ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Staaten. Nach Angaben aus syrischen Regierungskreisen haben sich beide Seiten darauf geeinigt, diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen aufzunehmen. Die Umsetzung dieser Vereinbahrungen sei jedoch von dem isralischen Abzug vom Golan abhängig.

Israel fordert sechzig entmilitarisierte Kilometer

Am schwierigsten zu lösen scheinen Fragen der Grenzsicherheit. Israel fordert auf der syrischen Seite eine entmilitarisierte Zone von 60 Kilometern Breite. In Damaskus wird dies strikt abgelehnt, weil damit der letzte syrische Soldat nur wenige Kilomter außerhalb der Hauptstadt stehen würde. Die Syrer fordern nun eine ähnliche Zone in Israel, was eine Demilitarisierung des gesamten israelischen Nordens bedeutet.

Die israelische Regierung fordert von Syrien ferner, seine Truppen radikal zu reduzieren. In Friedenszeiten brauche al-Assad keine 400.000 Soldaten, tausende Panzer, Kampfflugzeuge und weitreichende Boden-Boden-Raketen, heißt es aus Jerusalem. Aus Damaskus wird gekontert, Israel besitze die Atombombe. Für den Frieden müßten die Israelis darauf verzichten.

Neben den Verhandlungen muß sich die syrische Führung überlegen, wie sie der eigenen Bevölkerung einen Frieden mit dem „zionistischen Feind“ verkauft. Al- Assad soll die zahlreichen Geheimdienste seines Staatsapparates damit beauftragt haben, herauszufinden, wie die Stimmung der Bevölkerung in Sachen Frieden ist. Ein schwieriges Unterfangen, schließlich sind gerade die omnipräsenten Schnüffler dafür verantwortlich, daß sich in Syrien kaum jemand traut, offen über Politik zu reden. Dennoch sollen die Ermittlungen ergeben haben, daß die Mehrheit der SyrerInnen einen Friedensschluß mit Israel befürworten. Doch die Nachforschungen an der Basis der syrischen Bevölkerung ergaben für die Staatsführung auch Unerfreuliches: Die meisten SyrerInnen erhoffen sich vom Frieden grundlegende innenpolitische Veränderungen – bis hin zum Sturz von al-Assad.

„Al-Assad weiß, daß er früher oder später ein Abkommen mit den Israelis schließen muß“, meint ein arabischer Diplomat, der seit einem Jahrzehnt in Damaskus residiert. „Aber er weiß auch, daß Frieden die ganze Region verändern wird.“ Al-Assad müsse mit grundlegenden Veränderungen in seinem Staat beginnen, an deren Ende der Abschied zahlreicher Militärs und Geheimdienstler von der Macht stünde.

„Das Regime will die Uniform gegen einen eleganten Anzug austauschen“, meint der Politologe. Doch die verordneteten Maßnahmen würden auch zu Protesten unter Syriens Alawiten führen. Angehörige der knapp zehn Prozent der Landesbevölkerung ausmachenden religiösen Minderheit, zu der auch al-Assad gehört, besetzen die wichtigsten Posten im Militär- und Staatsapparat. Alawitische Offiziere fürchten nun, ihre Macht zu verlieren. Offensiv gegen einen Frieden mit Israel trat bisher der Chef der „Spezialeinheiten“, Ali Haidar auf. Vor zwei Wochen wurde der General, der bisher als enger Vertrauter al-Assads galt, verhaftet. Sein Nachfolger, Ali Habib, kommandierte im Krieg gegen den Irak eine syrische Einheit.

Haidar soll im Beisein von hochrangigen Militärs über al-Assads jüngsten Sohn und Staatschef in spe, Baschar gelästert haben. Dieser ist berüchtigt für seine politische Unbedarftheit. Glaubt man unter syrischen Militärs kursierenden Gerüchten, so hat er in den letzten Monaten mehrfach hochrangige Offiziere einbestellt, und ihnen regelrechte Standpauken gehalten. Statt dem Staat zu dienen, würden sie sich durch Schmuggelgeschäfte bereichern und mit Prostituierten vergnügen, soll er ihnen vorgehalten haben. Angeblich fragte Haidar nach einem solchen Vortrag, warum Syriens Herrscher unbedingt al-Assad heißen müsse.

Ein „alawitisches Abkommen“ mit Israel?

Haidar, selbst Alawit, soll sich auch dagegen ausgesprochen haben, daß ein alawitischer Staatschef einen Friedensvertrag mit Israel unterschreibt. Unter der sunnitischen Mehrheit der Bevölkerung gelten Angehörige der Minderheit als potentielle Verräter. Der Vorwurf hält sich, seit Alawiten im 11. Jahrhundert mit den christlichen Kreuzfahrern kollaborierten. „Ein Abkommen mit den Israelis wäre eine neue Schande in der alawitischen Geschichte“, soll Haidar gesagt haben.

Trotz der Absetzung Haidars scheint al-Assad dessen Bedenken gegen ein „alawitisches Abkommen“ mit den Israelis zu beherzigen. In Kreisen der syrischen Regierung kursiert ein mögliches Szenario für einen Friedensschluß. Kurz vor der Unterzeichnung eines Abkommens mit Israel wird al- Assad demnach eine neue Regierung einsetzen, an deren Spitze ein sunnitischer Ministerpräsident steht. Dieser müßte dann den Friedensvertrag unterschreiben und dem israelischen Regierungschef Jitzhak Rabin die Hand reichen. Für den Politologen ist diese Variante bereits ausgemacht. „Wenn al-Assad demnächst die Regierung umbildet“, erklärt er, „dann bedeutet das Frieden.“