PR-Gags statt Umweltschutz

Die Umweltbilanz der Bundesregierung: Das Eigenlob über Töpfers Umweltpolitik hält auf keinem Feld der Überprüfung stand  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – „Die Umweltpolitik der beiden vergangenen Legislaturperioden konnte dem Anspruch eines sektorübergreifenden und in sich abgestimmten Umweltschutzkonzeptes nicht gerecht werden.“ So beurteilt der Sachverständigenrat für Umweltfragen die Politik der Bonner Koalition. Der Bundesumweltminister sieht das in seinem Umweltbericht natürlich ganz anders: „Wir haben konsequent den Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung beschritten, die den wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand mit der Erhaltung von Umwelt und Natur in Einklang bringt.“

Was stimmt nun? Recht hat Töpfer, wenn er den Rückgang der Luftverschmutzung hervorhebt. Die Schwefeldioxid-Belastung zum Beispiel ist von 1970 bis 1992 um 74 Prozent gesunken. Die Erfolge des Einsatzes sogenannter „end-of-pipe“-Technologien sind nicht zu leugnen, doch sind das Entwicklungen, die lange vor der christlich-liberalen Regierung eingeleitet wurden. Auch den Orden für die Verbesserung der Umweltsituation in Ostdeutschland heftet sich Töpfer zu Unrecht ans Revers, ist doch in erster Linie der Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft dafür verantwortlich.

„Die deutsche Umweltpolitik orientiert sich am Vorsorgeprinzip, am Verursacherprinzip, am Kooperationsprinzip und übergreifend am Nachhaltigkeitsprinzip“, behauptet Töpfer. Das Vorsorgeprinzip gilt jedoch für die Abfallpolitik nicht: Müll wird nicht verhindert, etwa durch einen Mehrwegzwang, sondern nur nachträglich beseitigt oder bestenfalls verwertet. Das Verursacherprinzip gilt nicht für Kinder und Kranke, die bei Ozonsmog im Haus bleiben sollen, während für die Verursacher freie Fahrt mit dem Auto gilt. Und was das postulierte Nachhaltigkeitsprinzip betrifft, so hat die Bundesregierung gerade wieder bei der Genfer Vorbereitungskonferenz zum Klimagipfel in Berlin bewiesen, daß es bei ihren Lippenbekenntnissen bleibt, den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid bis 2005 um 25 bis 30 Prozent zu senken. Die CO2- Emissionen steigen derweil in den alten Bundesländern fleißig weiter an.

Konkrete Maßnahmen dagegen? Energiesteuern – ja vielleicht, aber keinesfalls ohne die anderen EU-Mitglieder, und deren Mitspielen ist nicht in Sicht. Während also das Treibhaus weiter angeheizt wird und der Energieverbrauch in den alten Bundesländern zunimmt, während sich das Waldsterben unvermindert fortsetzt und inzwischen schon ein Drittel des Trinkwassers nennenswert mit Nitraten belastet ist, während die Bahn in den letzten paar Jahren ein Drittel ihres Gütertransportes an die Straße verlor und die Abfallberge immer noch wachsen, drängt die Bundesregierung den Umweltschutz immer weiter in die Ecke.

Das Kernstück Töpferscher Umweltpolitik in der letzten Legislaturperiode war die Abfallpolitik. Statt einer geplanten Mehrwegverordnung kam das Duale System, das der Industrie erlaubt, weiter Einwegverpackungen auf den Markt zu werfen und obendrein am Recycling zu verdienen. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz fördert ebenfalls nicht die Müllvermeidung, dafür aber die -verbrennung. Verordnungen über Rücknahme und Verwertung von Altautos, Elektronikschrott, Batterien und Zeitungen wußte die betroffene Industrie zu verhindern.

Ein Gutteil der angekündigten Gesetzesvorhaben sind nicht zur Vollendung gebracht worden, so die Umweltstrafrechtsnovelle, das neue Bundesnaturschutz- und das Bodenschutzgesetz oder die sogenannte Sommersmogverordnung gegen Benzol-, Ruß- und Stickoxidbelastung. Letztere ist ein schönes Beispiel, wie seine Kabinettskollegen mit Töpfer umgehen: Ozon wurde ganz herausgenommen, Fahrverbote sind nur im Prinzip möglich, aber nicht auf Hauptverkehrsstraßen, und Verkehrsleitsysteme gehen vor Verkehrsbeschränkungen. So bleiben Töpfer nur Publicity-Gags, wie sein neuerdings heftig beworbenes „Ökobenzin“ (Öko ist daran nur ein verringerter Benzolgehalt).

Andere Umweltgesetze und -verordnungen wurden immerhin verabschiedet, etwa das Chemikaliengesetz, doch oft in einer Form, die bei Umweltverbänden auf deutliche Kritik stößt. Die Wärmeschutzverordnung gilt zum Beispiel nur bei Neubauten – der existierende Häuserbestand braucht nicht isoliert zu werden.

Viel einschneidendere Auswirkungen auf die Umwelt haben dagegen Gesetze, die zumeist gar nicht in das Umweltressort fallen. Der Bau von Straßen, Industrieanlagen und Wohnungen wurde durch Beschleunigungsgesetze drastisch erleichtert, die Öffentlichkeitsbeteiligung dafür beschnitten. Das Gentechnikgesetz dient allein den Interessen der Industrie. Die Atomindustrie darf sich freuen, daß jetzt auch Zwischenlagerung als Entsorgungsnachweis für Atommüll gilt. Im offiziell verabschiedeten Bundesverkehrswegeplan ist der Bau von 12.000 Kilometern Bundesstraßen und Autobahnen festgeschrieben.

Als der Vorsitzende des BUND, Hubert Weinzierl, zum Jahreswechsel seine Umweltbilanz vorlegte, zog er die Schlußfolgerung: „In Deutschland macht mittlerweile Siemens die Atompolitik, die Automobilindustrie die Verkehrspolitik und die Industrie- Dachverbände machen die Anti- Umweltpolitik.“