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Ein Marathon verpaßter Chancen

Der selbstkritische Dialog unter den Sportfunktionären hat beim pompösen XII. Olympischen Kongreß wieder einmal nicht stattgefunden / Lauflegende Emil Zatopek blieb unerkannt  ■ Aus Paris Josef-Otto Freudenreich

Maria Theresia Samaranch ist in Vertretung ihres Mannes gekommen, der wieder einmal in irgendeiner Sitzung hängengeblieben ist. Matthias Kleinert ist aus Berlin eingeflogen, wo er, wer weiß, vielleicht schon das Terrain für seinen Vorgesetzten Edzard Reuter sondiert hat. Auf jeden Fall strahlen beide in der Mercedes-Niederlassung an den Champs-Elysées, der Daimler-Sprecher und „Bibis“, wie Frau Samaranch von Freunden genannt wird.

„Sport und Technologie“ heißt das Thema, zu dem die Stuttgarter eingeladen haben, und Kleinert, ganz Charmeur, hat „Bibis“ ein nettes Kompliment gemacht. Es sei doch ohnehin viel schöner, daß sie hier sei, hat er ihr ins Ohr geflüstert, da könne er schon mal auf den Gatten verzichten. Zumal sie auch noch Marc Hodler mitgebracht hat, einen der wichtigsten Männer im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), der öffentlich sagt, was den „Matt“ freut. Daß das IOC stolz darauf sei, eine solch „wunderbare Partnerschaft“ mit Daimler-Benz haben zu dürfen. „Was will ich mehr?“ fragt Kleinert und kündigt an, daß sein Unternehmen den Sponsorenvertrag mit dem IOC verlängern werde.

Ob das nun gut und opportun ist? Gerade jetzt, wo die Herren der Ringe wieder einmal aller Welt gezeigt haben, wes Geistes Kind sie sind. Was ist er denn gewesen, dieser XII. Olympische Kongreß in Paris, der den französischen Steuerzahler 15 Millionen Mark gekostet hat? Eine Sprechbühne für eitle Selbstdarsteller wie für Primo Nebiolo, den Präsidenten des Internationalen Leichtathletikverbandes, der an der Seine die olympischen Ideale preist und überall auf der Welt, wo immer er ankommt, einen Mercedes der S-Klasse mit Fahrer verlangt. So etwas läßt sich der italienische Jurist vertraglich festschreiben. Womit ist das Weltparlament des Sports sonst noch aufgefallen? Mit Rednern, die die Betonspiele von Albertville als Auftakt für die grüne Neuorientierung der Olympier verkaufen, mit ehemaligen Athleten wie Edwin Moses, die es in ihrer Beflissenheit gegenüber dem unumschränkten Herrscher Samaranch locker mit ihren Altvorderen aufnehmen können – und mit einer Diskussionsunfähigkeit, die selbst abgebrühte Beobachter verblüfft hat. Der Präsident des Deutschen Leichtathletikverbands (DLV), Helmut Digel, hat dafür einen Begriff gefunden, der diesen Kongreß im Kern trifft: er war die „programmierte Redundanz“ – überflüssig.

Dies ist auch Kleinert nicht verborgen geblieben, dem das ziemlich verheerende Medienecho selbstredend gar nicht gefällt. Ein gehätschelter und getätschelter Geschäftspartner, der lauthals die geistig-moralische Wende verkündet und dann gezielt Debatten darüber verhindert, das stößt einem Kommunikationsprofi wie Kleinert, bei aller Loyalität, sauer auf. Und so erklärt er streng, er bedauere den fehlenden Dialog, darüber werde man mit Herrn Samaranch reden müssen. Noch in diesem Jahr werde es ein Gespräch mit Edzard Reuter (dem immer wieder IOC- Ambitionen nachgesagt werden) geben, bei dem dieser Marathon der verpaßten Chancen Thema sein müsse.

Nun wäre es ungerecht zu behaupten, in der Betonarchitektur von „La Défense“, dem mondänen Kongreßzentrum, dessen Eingang mit einem überdimensionierten Golddollar geschmückt ist, sei überhaupt nicht von Mensch zu Mensch gesprochen worden. Das ist sehr wohl geschehen, beispielsweise bei der Präsentation der deutschsprachigen Samaranch- Biographie, die Bertelsmann in Szene gesetzt hat. Mit dabei war IOC-Vizepräsident Kevan Gosper. Er konnte das Buch des Times-Sportchefs David Miller „guten Gewissens“ empfehlen, „weil es nicht zynisch ist wie die meisten anderen“. Auch Theo Schäfer, der PR-Chef des weltweit zweitgrößten Medienkonzerns, empfand imagekorrigierenden Handlungsbedarf für den spanischen Ex-Franquisten. Ein Mann, der die olympische Welt revolutioniert habe, so erläuterte er, dessen Gedanken müßten einfach verbreitet werden.

Das hat sich auch das deutsche IOC- Mitglied Thomas Bach gedacht. Der Tauberbischofsheimer Anwalt, der bereits als Verbindungsglied zwischen Samaranch und Reuter dient, hat Autor Miller mit Bertelsmann zusammengebracht und wächst damit immer mehr in die Rolle des Strippenziehers hinter den Kulissen. Zum Wohle seines katalanischen Mentors, versteht sich, zur Förderung der eigenen Karriere, und beides tut er sehr geschickt. Bach ist es, der in den Wandelgängen des babylonischen Kongreßzentrums als unermüdlicher olympischer Gesundbeter („Coubertin ist stärker denn je“) umhereilt und andererseits die profitmaximierenden Kontakte zur Wirtschaft hält. Bei ihm finden kritische Beobachter gar noch die Bereitschaft zur Selbstkritik, wenn er die „mangelnde Spontaneität“ der Veranstaltung beklagt. Ihm ist das Gespür für Strömungen und Stimmungen noch nicht abhanden gekommen, was sich in seiner raffinierten Doppelstrategie widerspiegelt: die alten Werte hochleben lassen und die neuen pflegen.

Der 40jährige sieht sich als der Versöhner von Coubertin und Kapital, als Brückenbauer zwischen Tradition und Zukunft. So steckt er ein paar handverlesenen Journalisten, er denke daran, ein eigenes Olympiafernsehen zu schaffen. Nicht um noch mehr Geld in die IOC-Kassen zu schaufeln, nein, um Gottes Willen. Vielmehr gehe es doch darum, der großen Gefahr vorzubeugen, „daß der Sport zur bloßen Unterhaltungsware wird“. Olympia in telegener Eigenregie, so lockt er, das würde die Auswüchse verhindern, die Reklameorgien, die Chauvinismen, die Verherrlichung der Sieger. Warum dieses saubere Paket nicht den Fernsehanstalten offerieren, die doch alle nach diesem Bilde gieren. „Da möchten wir mal sehen, wer sich diesem Angebot verschließt“, sagt Bach, guckt forschend in die Runde. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, wenn er den Vertrauten Samaranchs wenig später bei den Managern des Bertelsmann-Konzerns, dessen Rechtegesellschaft UFA und den verbandelten Fernsehsendern trifft.

Aber wie gesagt, der frühere Fecht-Olympiasieger aus dem Frankenland hat seine Wurzeln noch nicht ganz vergessen. Er wenigstens kann glaubhaft versichern, daß er nicht jenes IOC-Mitglied war, das den alten Mann nicht erkannt hat, der völlig verloren, mit gesenktem Kopf, durch die Katakomben geschlichen ist. Er möge ihm doch seinen Namen und seine Erfolge auf einen Zettel schreiben, hat jener IOC-Held den 71jährigen zwischen zwei Häppchen aufgefordert. Der alte Mann war Emil Zatopek, dreifacher Olympiasieger von Helsinki 1952.

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