■ Press-Schlag
: Tottenhams Taucher

Wäre da nicht ganz am Ende der Saison 1993/94 diese Weltmeisterschaft in den USA gewesen, kein Mensch hätte auch nur ansatzweise daran gedacht, Jürgen Klinsmann zum „Fußballer des Jahres“ zu wählen. In der französischen Meisterschaft war sein AS Monaco schnell ohne jede Chance, Zuschauer kamen noch immer nicht ins Stadion, außer Prinz Albert, und in der Champions League reichte es zwar zum Halbfinale, aber mit der furchtsamen Mauertaktik des Trainers Arsène Wenger hatten die Monegassen dort gegen den AC Mailand nicht die Spur einer Chance. Und Klinsmann? Klinsmann schoß keine Tore. Er mußte in Wengers Defensivsystem den einsamen Hanswurst für den Angriff spielen, und wenn er mal eine Torchance hatte, fehlten Kraft und Nerven. Nach verkorkster Saison begehrte sogar der harmoniefreudige Schwabe auf und wollte Monaco schnellstens verlassen. Doch niemand war bereit, für einen erfolglosen Stürmer eine Menge Geld zu zahlen, und alles deutete darauf hin, daß dem 30jährigen ein weiteres Jahr Fron in fürstlichen Diensten bevorstand. Aber dann kam die WM, und alles wurde gut.

Der Schlüssel zu Klinsmanns Auferstehung war wohl das Länderspiel gegen Italien im März. Wie wurde Berti Vogts zuvor gescholten, daß er den schlappen Angreifer erneut aufbot, aber dann schoß dieser die Tore zum 2:0-Sieg, der bei Klinsmann segensreichere Früchte trug als bei einigen seiner Kollegen. Diese hielten sich von nun an für den sicheren künftigen Weltmeister, Klinsmann hatte lediglich sein Selbstvertrauen zurückgewonnen und machte davon in den USA ausgiebig Gebrauch. Das Tor gegen Bolivien im Eröffnungsspiel fiel ihm noch in den Schoß, doch dann beeindruckte er durch erstaunliche Zielsicherheit sowie seinen unbändigen Kampfgeist und wurde gleichzeitig wegen der in Italien erlernten Theatralik und seinen spektakulären Tiefflügen nach winzigen Schubsern zur Reizfigur in angelsächsischen Gefilden, wo man ihn als „Taucher“ beschimpfte.

Trotz des Ausscheidens bei der WM sah Klinsmanns Zukunft nun wieder rosig aus, daß er allerdings ausgerechnet in Feindesland, bei den Tottenham Hotspurs, anheuern würde, hatte niemand für möglich gehalten. Aber auch in London brachte der frohgemute Sympathiebolzen mit kleinen Scherzen („Gibt es hier eine Tauchschule?“), großem Einsatz und bislang fünf Toren die Leute hinter sich, fand mit dem englischen Hurra-Fußball den Stil vor, der ihm am meisten liegt, und schuf mit dem Tottenham-Dive, bei dem das ganze Team per Bauchklatscher auf Tauchstation geht, sogleich eine neue Form des Torjubels. Kein Wunder: In dieser Disziplin war Jürgen Klinsmann, der jetzt mit 211 Stimmen vor Matthäus (117) und Sammer (99) zum „Fußballer des Jahres 1994“ gewählt wurde, schon immer führend. Matti