Jazz me, if you can!

■ Das 16. Internationale Jazzfestival im österreichischen Saalfelden

Kaum aufgestiegen, ging ihr auch schon die Luft aus – der meterhoch aufgeblasenenen Pepsi- Cola-Dosen-Attrappe, deren oberer Rand, aus Festzeltperspektive, nahtlos mit dem Gipfel des Kitzsteinhorns abschließt. Ein Loch ins Budget reißt der Absturz nicht, auch wenn 80 Prozent des knapp 900.000 Mark umfassenden Etats aus Eigenmitteln, beziehungsweise von Sponsoren stammen.

Italiener und Deutsche bilden die bei weitem größte ausländische Besuchergruppe am Fuß der Hohen Tauern, wo sechzehn Gruppen sich an drei Tagen vorstellen. Ein Motorradfahrer aus GB trifft kurz nach dem Eröffnungskonzert seines Landsmanns Django Bates ein. Dessen Big Band „Delightful Precipice“ amalgamiert Punk und Walzer, Jazz und Rock mit deutlichen Sollbruchstellen. Doch das, was vor Jahren den „entzückenden Abgrund“ des gleichnamigen „Loose Tubes“-Albums ausmachte (bei dem Bates und einige seiner jetzigen Musiker mitmachten), die Spielfreude und der vielbeschworene englische Humor, ist heute nur noch Nachäffen, Klamauk. So wird denn häufig mit einem wohlfeilen Tutti weggewischt statt im Prozeß dekonstruiert.

John Zorn, dessen Projekt „Naked City“ ähnliches angelastet wird, konzentriert sich bei seinem Auftritt mit der akustischen Band Masada auf osteuropäische Folklore, wie sie sich in der Tradition des Klezmer erhalten hat. Doch obwohl das New Yorker Enfant terrible weit davon entfernt ist, bloß zu rekapitulieren, kostet er den herzzerreißenden Song aus, bevor er ihn zerpflückt, spielt er die dralle Polka, bevor er sie beschleunigt die Form sprengen läßt.

Zorn gehört hier bereits zu den Matadoren – ähnlich wie Henry Threadgill, der vor Jahren mit seiner Dance-Band dafür sorgte, daß ein von den ersten Takten an euphorisiertes Publikum in eine kollektive Tanzorgie ausbrach. Heute präsentiert er sich artifizieller, tüftelnder, stellt immer neue Instrumentalistengruppen zusammen. Nur zweimal betritt das dreizehnköpfige Orchester gemeinsam die Bühne, da alle nicht in Aktion befindlichen Musiker selbige verlassen müssen – genauso wie ein überzähliger Notenständer, dessen Existenz den Meister sogar während des Vortrags dazu treibt, dem Bühnenpersonal mit herrischer Geste die schleunigste Beseitigung zu bedeuten. Anthony Davis und besonders John Carter haben schwarze zeitgenössische Kammermusik schon schlüssiger und vor allem besser arrangiert vorgetragen.

Spätestens nach Oliver Lakes und Randy Westons Auftritt stellt sich mir die Frage nach dem Verbleib der schwarzen Avantgarde. Beide pflegen brav die Traditionen: Lake mit einem „Tribute To Eric Dolphy“ und Weston mit deutlichen Anleihen bei John Coltrane bzw. Dollar Brand alias Abdullah Ibrahim. Erinnerungsträchtig zwar, aber mehr auch nicht. Am letzten Abend schließlich betritt ein schwarzer Musiker die Bühne, der etwas noch immer ungebrochen vorführt, das sich andere kaum noch trauen: Free Jazz. Roscoe Mitchell, Spiritus rector des legendären Art Ensemble Of Chicago, versetzt das Publikum mit zwei Schlagzeugern, zwei Bassisten und einem durchweg zirkular geblasenen Saxophon in Trance – und läßt es nicht mehr los bis zum frenetischen Beifall.

Bleibt noch der Blick auf zwei weniger jazzorientierte Projekte. Marc Ribots Shrekhouse macht seinem Namen alle Ehre. Sein rund zehnminütiges Solo auf der E-Gitarre vertreibt Jazzfans und Mütter mit kleinen Kindern aus dem Saal und leitet eine nie gehörte brodelnde Mischung ein aus Industrial, Southern Rock, Funk und Ethno-Trash. Ribot ist einer der wenigen, dem die Zuhörer zwei Zugaben entlocken. Bejubelt wird schließlich auch der Wiener Saxophonist Wolfgang Puschnig mit seinem Projekt „Mixed Metaphors“. Der hatte sich mit dem Dichter Ernst Jandl, der Sängerin Linda Sharrock und dem Rapper Taria Trotter eine hochbrisante Vokalistenmischung eingeladen.

Der Auftritt scheiterte allerdings an der fehlenden Abstimmung der Gäste untereinander – und der zwischen Text und Musik. Jandls Aufforderung: „Jazz me, if you can!“ verhallte ungehört. Er selbst bemängelt später die Integration, wobei seine spärlichen Einsätze, seine verqueren Wortspiele noch den interessantesten Aspekt boten in diesem recht artifiziellen Rap-Programm.

Alles Neue, das auf Festivals wie diesem geboten werden soll, bedarf eben der Proben. Und kostet. Die Erwartung an Veranstalter und Musiker, in immer kürzeren Zeiträumen Neues zu präsentieren, stößt vermutlich auch in diesem Punkt an ihre ökonomischen Grenzen. Peter Thomé