: „Ich will den Verfolgungsdruck erhöhen“
■ Wie die Staatsanwaltschaft Neuruppin versucht, die Gewaltszene in Griff zu bekommen
Erardo Rautenberg, Leitender Staatsanwalt im brandenburgischen Neuruppin, hat eine Abteilung für „Straftaten von Angehörigen gewalttätiger rechtsextremistischer Gruppierungen“ eingerichtet. Taucht irgendwo ein Hinweis auf, Jugendliche könnten als Täter oder Mittäter in Betracht kommen, übernimmt diese Abteilung zentral alle Ermittlungen. Herauskommen soll eine Datei der mutmaßlichen Gewalttäter. Eine Szene wird kartographiert.
taz: Die Staatsanwaltschaft ist doch in der Regel die letzte Instanz, die mitbekommt, was sich in Jugendszenen so tut. Was kann diese Sonderabteilung erreichen?
Erardo Rautenberg: Wir können Tätern schneller auf die Spur kommen. Nehmen Sie den Fall aus Velten, wo neulich Jugendliche einen Radfahrer erschlagen haben, weil sie Geld für die Disco brauchten. Maike L., der Haupttäter, hatte bereits im Juni einen Portugiesen in einer Oranienburger Disco verprügelt. Damals hatte das keinen offensichtlich ausländerfeindlichen Bezugspunkt. Es hätte jeden treffen können. Aber es war eine Gruppentat. Und in dieser Gruppe tat sich Maik L. besonders hervor, weshalb wir schnell einen Haftbefehl erwirkt hatten. Es lagen über ihn also bereits Erkenntnisse in der Abteilung vor.
Es handelt sich um eine Verdächtigenkartei?
Das sind Namenlisten für meine Mitarbeiter. Man kann da den ein oder anderen reinstecken, der da nicht reingehört. Aber wenn ich weiß, daß aus einer Gruppe heraus laufend Straftaten geschehen, dann will ich irgendwann mal den treffen, der an der Spitze steht. Nur so treffe ich auch die Gruppe. Dafür muß ich gegen den Anführer Munition sammeln, daß er eine Anklage kriegt, mit der ich ihn aus dem Verkehr ziehe. Sagen wir es mal so brutal.
Notiert demnächst die Polizei vor Ort: Einer der Umstehenden trug Glatze, hatte Springerstiefel an den Füßen, dann reicht das, um in diese Kartei zu gelangen?
Das ist schwierig, ich weiß. Wir machen diese Listen, damit die Beamten hier bei der Staatsanwaltschaft schon bei einer Vorauswahl sehen, wer in dem Spektrum dabei ist. Ich will ganz bewußt den Verfolgungsdruck auf die rechtsextremistische Szene erhöhen.
Was wird eingetragen?
Nur der Name. Wenn wir feststellen, derjenige gehört zu einer schlagenden Jugendgruppierung, dann werden die Vorwürfe gegen ihn gesammelt, auch wenn es in einem Fall nicht für eine konkrete Anklage reicht.
Sie legen quasi ein Sammelkonto für Straftäter an?
Ja. Es ist ja möglich, daß er an einem Wochenende betrunken Auto in Oranienburg fährt, dann treffen wir ihn am nächsten Samstag in Prenzlau bei einer Schlägerei wieder an. Zwei Tage danach begeht er in Schwedt einen Diebstahl, dann finden wir rechtsextremistische Schriften. Da wären normalerweise drei, vier verschiedene Staatsanwälte mit befaßt. Wir sammeln das und konzentrieren die Anklagen. Das ist gerade bei Heranwachsenden sinnvoll, alle Vorwürfe, auch die nichtpolitischen, zu sammeln und ihm dann eine Anklage zu verpassen.
Und dafür tun Sie alles?
Bei den Anführern ist das unser Ziel. Das Problem ist doch, daß wir gerade gegenüber jugendlichen Gewalttätern mit unserem derzeitigen Haftrecht einfach Schwierigkeiten haben. Die kann der Haftrichter nicht einfach einsperren. Fluchtgefahr ist meistens nicht gegeben, deswegen kann ich sie nicht einbuchten. Aber die Erfahrung zeigt, daß es Wiederholungstäter sind. Jemand prügelt heute einen zusammen und morgen den nächsten. Allein das reicht nach dem Haftrecht nicht aus, um jemanden festzusetzen. Es sei denn, daß Sie so viele andere Vorwürfe zusammentragen können, daß es deswegen ausreicht.
Sie sind Mitglied von amnesty international. Können Sie Ihre Täterkartei damit vereinbaren?
Ja. Im Prinzip halte ich zwar nicht viel davon, sich jemanden aufs Korn zu nehmen, aber ich erfinde auch keine Straftaten.
Nach der Kartei für Rechte folgt die für Punker?
Nein. Solche Listen sind das letzte Mittel. Im Gegensatz zu den Punkern zielt die Gewalt von rechts vernichtend auf Personen. Es ist diese völlige ideologische, menschenverachtende Haltung, die dahintersteckt. Deshalb kann ich die Rechten verbal nicht fassen. Von einem Punker habe ich noch nie gehört, daß er es gut findet, Wehrlose zusammenzuschlagen.
Klingt sehr nach einer großen Strafverfolgung von Jugendlichen.
Das wollen wir nicht. Aber es gibt Leute, bei denen kommt man mit Erziehungsgedanken nicht weiter.
Sie haben resigniert?
Wir wollen die Köpfe der rechtsextremistischen Szene kriegen. Und wenn man das Umfeld kennt, kann man abschätzen, wer aus der Gewaltszene noch herauszuziehen ist. Nicht mit repressiven Maßnahmen, sondern mit erzieherischen. Je mehr man rüberzieht, desto besser.
Arbeiten Sie mit Sozialpädagogen zusammen?
Das wollen wir tun. Interview: Annette Rogalla
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