Die taz steht auf Preußen

■ Würdevolle Tagung der Genossen / Stühle im Mittelpunkt

Berlin (taz) – Die Umgebung war zwar etwas steif, schien der Bedeutung der Sache ansonsten aber durchaus angemessen. Im geschichtsträchtigen Preußischen Landtag tagte am Samstag die 3. ordentliche Genossenschaftsversammlung der taz. Auch Kosten hatte die kleine, aber feine Zeitung für den Empfang ihrer treusten Leserschaft nicht gescheut, als sie im dritten Obergeschoß einen Saal angemietet hatte. Bestuhlt, versteht sich.

Wie bei taz-Plena üblich nahm die Veranstaltung einen unvorhergesehenen Verlauf, was diesmal allerdings weniger Inhalten der Debatte als den äußeren Umständen geschuldet war. Nach einer Kaffeepause am frühen Nachmittag – Aufsichtsrat und Vorstand waren bereits von den rund 130 versammelten Genossinnen und Genossen für das Geschäftsjahr 1993 entlastet worden – meldete sich ein aufgeregter Teilnehmer zu Wort: Unten vor dem Portal stünden noch etliche zu spät gekommene Genossen, die der Wachtmeister aber nicht hereinlasse, weil der Raum oben voll sei. Aufgebrachtes Gemurmel ging durch die Reihen. Wie kann das sein? Ein Blick in die Runde zeigte: alle Stühle in dem Saal waren tatsächlich besetzt, aber Stehplätze gab es noch allemal genug. Also was tun? Taz- Vorständler Klaus Woltschner hatte die zündende Idee: „Wir legen unten vor der Tür eine Zigarettenpause ein. Dann haben die Pförtner keinen Überblick mehr, und die Ausgesperrten wutschen danach mit uns herein."

Der Trick funktionierte, brachte den Chef der preußischen Wachtruppe allerdings auf 180. „Gleich komme ich hoch und zähle durch. Wer keinen Stuhl hat, wird des Saales verwiesen“, fauchte er den besänftigend auf ihn einredenden taz-Chefredakteur Arno Widmann an, als die Genossen die Treppe hinaufströmten. Widmann eilte hinterher, um die Seinen zu warnen. Doch Sitzungsleiter Jonny Eisenberg hatte die Sache bereits geritzt. „Es erscheint würdevoll und angemessen, die Veranstaltung fortan im Stehen abzuhalten“, forderte der Winkeladvokat die Versammelten auf, sich zu erheben und ein wenig zur Seite zu treten, damit der preußische Saalwachmeister auch ja gut zählen könne, wie viele Stühle noch frei sind.

Mit Standing ovations verabschiedeten die Genossen den aus dem Aufsichtsrat ausscheidenden Politologieprofessor Elmar Altvater, der zum Dank ein taz-Fahrrad geschenkt bekam und damit im Saal eine Ehrenrunde drehte. Stehend votierten sie einstimmig dafür, daß Gisela Wülffing neue Aufsichtsrätin wird. Die taz-Mitbegründerin ist hauptberuflich Öffentlichkeitsreferentin der grünen hessischen Ministerin für Familie, Jugend und Gesundheit.

Plötzlich flog die Tür auf. Herein rauschte der Chef der Wachtruppe und forderte die Versammelten auf Platz zu nehmen, um die Zahl der Stehenden ermitteln zu können. Aber keiner folgte, „denn schließlich haben wir nicht vereinbart, daß die Versammlung im Sitzen abzuhalten ist“. Nach dieser Belehrung von Sitzungsleiter Eisenberg erkannte der Hilfspolizist, daß er allein keine Chance hatte. Wütend machte er auf dem Absatz kehrt und drohte: „Dann muß ich von meinen Hausrecht Gebrauch machen.“ Was immer damit gemeint war: Die Veranstaltung ging zu Ende, ohne das etwas passierte. P. Plarre