Kein Spielraum für klare Antwort

■ Die britische Regierung weiß nicht recht, ob sie beleidigt sein oder das CDU/CSU-Papier als Provokation begreifen soll

Soll man Wolfgang Schäubles Vorschlag für ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ begrüßen, oder muß man über Großbritanniens Einstufung ins zweite Glied beleidigt sein? Das CDU/CSU-Papier hat in London Verwirrung ausgelöst. Schließlich sind Schäubles Vorstellungen gar nicht so weit von denen des britischen Kabinetts entfernt, wenn man den Wahlkampf der Torys für die Europawahlen im Juni betrachtet. Damals waren die Konservativen nämlich mit Argumenten angetreten, die dem CDU-Papier sehr ähnlich sind. Es war die einzige Möglichkeit, den einflußreichen Flügel der Europagegner zu beruhigen.

So sieht der Guardian es denn auch als Provokation für Premierminister John Major, wenn die deutsche Regierungspartei CDU ihn drängt, sich dem „harten Kern der Europäischen Union“ anzuschließen. Der Independent appelliert dagegen an Major, sich einzumischen: „Um verlorenen Boden wettzumachen“, so schrieb das Blatt am Wochenende, „muß die britische Regierung nun ihre eigenen Pläne mit derselben Klarheit und intellektuellen Schärfe vorlegen, wie sie im deutschen Vorschlag zu finden sind.“

Major hält sich unterdessen bedeckt: Er hat sich bisher gehütet, zu dem CDU-Papier Stellung zu beziehen. Aufgrund der wackligen Mehrheitsverhältnisse im Londoner Unterhaus hat er keinen Spielraum, er ist dem rechten Parteiflügel auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Was soll er auch zu dem deutschen „Kerneuropa“-Vorstoß sagen? Hätte er seinen Vorschlag begrüßt, so könnte die Labour Party dann an den Nationalstolz appellieren und behaupten, daß Großbritannien unter den Torys in Europa nur noch die zweite Geige spielt – selbst wenn Labours eigene Europapolitik hinter einem Schleier von Widersprüchen verborgen ist. Hätte Major dagegen Schäubles Vorschlag als Brüskierung verurteilt, wäre der rechte Tory-Flügel mißtrauisch geworden, und der mühsam beigelegte innerparteiliche Zwist wäre erneut ausgebrochen.

Der Independent hält daher einen guten Rat für den britischen Premierminister bereit: „Es ist eine der Lehren aus den Maastrichter Verhandlungen, daß es niemals zu früh ist, klare Gedanken zu fassen und sich um Bündnisse zu kümmern. Wenn die Regierung in London vermeiden will, für immer in der Defensive zu bleiben, so muß sie sich in die Debatte um die EU-Konferenz im Jahr 1996 einmischen.“ Damit könne Major schon übermorgen anfangen, wenn er in den Niederlanden eine Rede hält. Diese Gelegenheit, so warnt das Blatt, dürfe er sich nicht entgehen lassen. Ralf Sotscheck, Dublin