In Schränken auf Toilette gehen

■ Hamburger Straße: Einmal Kosmonaut sein in der Raumstation MIR Von Katrin Wienefeld

„Buah, mir wird schlecht“, würgt Jochen grad noch und flüchtet aus der Kapsel. Mutter Helga, die mit der Freundin grad von der Weinprobe im Untergeschoß kommt, steht indessen noch auf halbhoher Sandalette auf dem wattierten Boden und jauchzt “... huuch, das könnt– ich ja nie lange machen“. Ein älterer Herr zu ihrer Linken wankt und hält sich krampfhaft an dem Metallgriff schräg über ihm fest. Die drei befinden sich schwerelos im Orbit, genauer: Sie spielen „einmal Kosmonaut sein“ auf der Raumstation MIR.

In Originalgröße und mit identischen Einrichtungs- und Bedienungsmodulen ausgestattet steht die begehbare MIR (zu deutsch: Frieden) seit gestern im Einkaufszentrum Hamburger Straße. Unter dem Slogan „größte in Deutschland gezeigte Weltraumaustellung“ können sich die Besucher ein ganz reales Bild vom Alltag in einer Raumstation, von Raumsonden und Mondfahrzeugen machen.

Angestrahlt vom Neonlicht wirken die Gerätschaften, mit denen die Russen seit acht Jahren jeweils bis zu fünf Kosmonauten in den Orbit schicken, eher wie verlorengegangenes Spielzeug eines wirren Erfinders. Die nur 14 Meter lange und fünfeinhalb Meter breite MIR vermittelt nicht den Eindruck eines geschützten und stabilen Raumfahrzeugs. Die ebenfalls originalgroße „Lunchod-2“, ein selbstfahrendes Mondlaboratorium, erinnert an eine große Tonne aus weißbemaltem Alu mit wackligen Drahtreifen.

Im Innern der Raumstation erwartet den Besucher eine kleine optische Zauberei: Die Wände sind in Schräglage gebaut, der Fußboden hingegen ist horizontal. Die abgedämpfte Atmosphäre, die blinkenden Monitore und die räumliche Enge tun ein übriges, um das Gefühl der Schwerelosigkeit zu vermitteln. An der Decke hängt eine lebensgroße Puppe und fährt Trimmrad. Links und rechts Schaltstellen, Schubladen und Kästchen mit allen erdenklichen Funktionen. Unvermittelt ist an der Wand in der Mitte ein Glaskasten eingelassen, hinter dem sich Blumen verbergen – kosmischer Wohnzimmerschmuck. Die Betten sind, ebenso wie das Klo, in Schränken versteckt und werden zur Schlafenszeit geöffnet. Die Besatzung hängt, legt oder stellt sich, je nach Definition, hinein. Überall an den Wänden sind Haltegriffe, um sich im schwerelosen Raum anzudocken. Die Luke in der Mitte erlaubt im All den Blick auf die Erde.

Ein Stockwerk tiefer zeigt ein Modell des Weltraumbahnhofs Baykonur Vorbereitungen für Raketenstarts und auf einer kreisrunden Bühne wird den ganzen Tag lang die Landung des unbemannten Raumfahrzeuges Luna 21 auf dem Mond nachgestellt. Ferngesteuert entläßt sie dabei das Raumfahrzeug „Lunchod-2“ zur Erforschung der Mondoberfläche. Im Oktober wird sich der deutsche Kosmonaut Ulf Merbold zur MIR begeben, und den beneidet nach einem Besuch des Modells wohl so leicht keiner mehr um seinen Job.

Die Austellung der russischen Akademie der Wissenschaften läuft noch bis zum 24. September