Schröder erzählt Von Mathias Bröckers

Wenn alle drei Monate die Büchersendung aus Fuchstal-Leeder kommt, räume ich andere Lektüre meistens sofort bei Seite – nichts liest sich besser weg als 50 Seiten „Schröder erzählt“, die quartalsweise erscheinenden Erinnerungen von Jörg Schröder. Daß der Gründer des legendären „März“- Verlags, „Pornokönig“ und Kulturrevolutionär seine Memoiren nur portionsweise veröffentlicht, hat seinen Grund in einer langen Reihe von Leitz-Ordnern: den Akten der Gegendarstellungs-, Rufmord- und Beleidigungsverfahren, mit dem Schröders Buch „Siegfried“ überzogen wurde, in dem er Mitte der 70er Jahre aus seinem wilden Leben erzählt hatte. Und das nicht in Form eines verschwiemelten Schlüsselromans, oder unter Verwendung von Pseudonymen oder Verfremdungen – er nannte Namen und lieferte O-Töne. Und die Betroffenen aus der Verlags- und Kulturbranche rannten reihenweise zum Kadi. Sowas mutet man sich im fortgeschrittenen Bypass-Alter nicht mehr zu und deshalb publiziert Schröder nun im Desktop-Verfahren für einen Kreis von etwa 350 Vorbestellern, was größere Verluste bei eventuellen Klagen ausschließt. Die inkriminierte Folge wird dann einfach nicht mehr gedruckt – was bis dato noch nicht vorgekommen ist. Wären aber die mittlerweile 800 Seiten als „Siegfried Zwei“ en block herausgekommen, hätte Jörg Schröder vermutlich einige beleidigte Pittbulls am Hals. Etwa weil er den Frankfurter Bordellier zu Wort kommen läßt, der seinen Puff für die Öffentlichkeit sperrte, wenn der Troß von Franz Josef Strauß anrückte. Deshalb ist das mit dem Memoiren- Abo eine prima Sache. Es ermöglicht eine biographische Kulturgeschichtsschreibung, die nach der Prämisse „Warum denn sachlich bleiben, wenn's auch persönlich geht?“ öffentlich so erzählt, wie man es „eigentlich“ nur im Privaten tut: Klatsch. Wer zum Beispiel etwas über die Kultura der BRD Anfang der 60er erforschen will, kann die Bücher dieser Zeit lesen – wer aber Jörg Schröders kurzes Kapitel über seine Karriere beim Verlag Kiepenheuer & Witsch liest, ist mittendrin im vollen Menschenleben der Kulturschaffenden, der karrieregeilen Jungjournalisten (Bölling), der Verlags- Patriarchen („Ich weiß doch, daß er ein Arschloch ist. Was soll ich tun? Er ist mein Schwiegersohn“ – Witsch über seinen Nachfolger DuMont) und natürlich des Helden selbst: „Noch hatte ich nicht den Ruf eines bukowskischen Trunkenbolds, sondern war ein sumpfender Wicht, der sich herausnahm, in diesem bedeutenden Verlag vormittags besoffen zu pennen. Ich stand auf der Abschußliste.“ Doch der neue Werbeleiter war zuvor bei Wella und textete so friseurmäßig schlecht („Kiepenheuer lesen/dabeigewesen“), daß der delinquente Assistent bleiben kann und zum genialischen „Werbedruiden“ aufsteigt ... Neben der Mischung von öffentlich und privat, von Klatsch und Analyse, beherrscht der Erzähler Schröder vor allem die Register von Stringenz und Abschweifung, was auch damit zu tun hat, daß seine Erinnerungen nicht geschrieben, sondern wirklich erzählt (und vom Tonband aufs Papier gebracht) sind. Wer reinhören will in diesen Monolog: für 50 DM pro Folge gibt's das Abo beim März Desktop Verlag, Hauptstr. 29, 86925 Fuchstal- Leeder.