Die Rollos runtergelassen

Moderat: Die Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus haben ihre Bestände neu gehängt  ■ Von Brigitte Werneburg

Es ist die Zentrale, die der Provinz das Leben schwer macht. Im konkreten Fall die der Deutschen Bahn AG in Berlin, die sich dagegen sperrt, einen bunten, konstruktiv-verspielten Güterzugwaggon, den Günther Hornig für die Aktion „Künstler-Waggons“ in Chemnitz gestaltete und den die Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus in diesem Jahr für eine Mark erwarben, im Bahnhofsinnern aufzustellen. So steht er jetzt erst einmal als Modell auf einem weißen Sockel neben der Museumskasse. Denn mit der Eröffnung der neugehängten „Sammlung zeitgenössische Kunst“ am 3. September startete auch Hornigs erste Museumsausstellung „Tafeln – Blätter – Objekte“ im Erdgeschoß des ehemaligen Teppichhauses in der Spremberger Straße 1, in dem sich die Brandenburgischen Kunstsammlungen seit 1977 Raum für Raum erobern. Meint die Zentrale vielleicht, den ankommenden Besucher mit zeitgenössischer Kunst zu begrüßen, würde ihm einen falschen Eindruck vermitteln von der Stadt, die ein Textilkombinat, ein Kraftwerk und der umliegende Braunkohletagebau seit den 60er Jahren zur zweitgrößten Brandenburgs wachsen ließen?

Mit Kunst war es tatsächlich nicht weit her in dieser Ecke der Provinz, als Ende der 70er Jahre in Cottbus die „Galerie Kunstsammlung“ gegründet wurde. Aus dem Bezirksmuseum Schloß Branitz gelangten rund 200 Gemälde in das Haus an der Ecke zum barocken Altmarkt. Es waren Werke regionaler Künstler, die in den 50er Jahren angetreten waren, im neu entstehenden sozialistischen „Kohle- und Energiezentrum Cottbus“ ihre Kunst auf den „Bitterfelder Weg“ zu bringen (das hieß, sich der Industrieproduktion stellen und direkten Kontakt mit der Basis suchen). Dieser Bestand wurde durch Ankäufe erweitert, etwa um 80 Arbeiten, die dem von 1977-1990 durchgeführten „Energie-Pleinair“ entstammen. Die „bezirklichen Koryphäen“ (Kustos Jörg Sperling) Kurt Heinz Sieger, Dieter Dressler, Günther Friedrich und andere sind, zusammen mit Bernhard Heisig und Willi Sitte, von denen noch Mitte der 80er Jahre drei Arbeiten angekauft wurden, die „Leichen im Keller“ des heute als Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus firmierenden „Museums für zeitgenössische Kunst, Fotografie und Plakat“.

Allerdings wurden sie Sperling zufolge schon vor dem Ende der DDR ins Depot verfrachtet. Denn schnell hatte sich gezeigt, daß der regionale Rahmen zu eng gesteckt war, um ein attraktives Museum mit einer plausiblen Sammeltätigkeit aufzubauen. Die im Museumsnamen stolz angezeigte und schon 1979 getroffene Entscheidung, Fotografie und Plakat als gleichberechtigte Sammlungsbereiche neben Gemälde, Plastik, Zeichnung und Druckgrafik zu stellen, war ein Weg, sich über Brandenburg hinaus umzuschauen.

Diese Entscheidung stützte auch den Entschluß, aus der Not mangelnder Substanz die Tugend des „Nach-vorne-Sammelns“ zu machen. Das bot einerseits Gele

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genheit, schlechte Arbeiten abzuhängen, und andererseits – jenseits des traditionellen leinwandbespannten Rahmengevierts – ab 1986 auch Künstlerbücher in die Sammlung einzubeziehen. 1991 wurde die Sonderausstellung „Rollo – Kunst als Dekoration?“ dazu genutzt, einen erklecklichen Teil der gezeigten Faltrollos zu erwerben. Sie waren Mitte der 80er Jahre ein überraschend aufgetretenes, bedeutsames Phänomen im „Kunstraum der DDR“.

Unterstellt man dieser sprachlichen Abgrenzung gegen den pauschalen Begriff der DDR-Kunst nicht von vornherein eine rein euphemistische Funktion, dann bringt sie in der Tat kritisch ins Feld, daß man durchaus anders malen konnte als Mattheuer, Sitte und Co. „Es gab hier kein Malverbot“, so der Dresdener Künstler Eberhard Göschel (siehe taz 29.8.1994), dessen Terrakotta-Plastik „Fragliches Figürchen“ (1986) die Sammlung zeitgenössischer Kunst zeigt. Göschel gehört zu der hier gesammelten Künstlergeneration von Michael Freudenberg, Veit Hofmann, Günther Hornig, Gerda Lepke, Stefan Plenkers, Max Uhlig oder Rainer Zille, für die der in Dresden lehrende Herbert Kunze „Anreger und Freund“ (so der Titel der Cottbuser Sonderausstellung 1988) war. Diese Exponenten einer sogenannten mittleren Generation, die in den 70er Jahren ihr Debüt hatten und deren Arbeiten sich vom Figürlichen ausgehend zunehmend in Colorismus oder gestischer Abstraktion auflösten, sind ein wesentlicher Schwerpunkt der Cottbuser Sammlung. Ebenso wie die Lehrergeneration, die neben Kunze, dessen Collage „Jetzt, Aktuell“ (1981) gezeigt wird, Hermann Glöckner, Willy Wolff, Hans Kinder, Hans Christoph, Theodor Rosenhauer und Kurt Teubner umfaßt.

Diese Künstler, die teils schon in den 20er Jahren ihren ersten Auftritt hatten und in der DDR der 50er Jahre auch als Kunsthochschuldozenten zurückhaltend bis spröde ihr Durchkommen und Auskommen suchten, fanden gegen Ende der 60er Jahre zu einen experimentellen Altersstil, mit konstruktiven, malerisch-aktionistischen oder konkreten bis informellen Anleihen. Von Hans Christoph etwa zeigt die Sammlung neben „VA“ (1980), einem abstrakten, an Jackson Pollock erinnernden Träufelbild, wie er es erstmals 1969 malte, auch eine dem Expressionismus seines Lehrers Carl Lohse verpflichtete Landschaft aus den zwanziger Jahren.

Das „Selbstbildnis“ (1920) des Spätexpressionisten Lohse zeigt einen monumental aufgefaßten Kopf aus getöntem Gips, der von einer ziemlich eigenwilligen Formauffassung ist. Innerhalb der wenigen Exponate, die das Museum an Gemälden und Skulpturen des Nachexpressionismus und des Großstadtrealismus der 20er und 30er Jahre besitzt, ist er wohl das interessanteste Objekt. Diesen Anfang verdankt die Cottbuser Sammlung der einstigen, etwas zu hochgegriffenen Idee, eine „Galerie des 20. Jahrhunderts mit Sammlungen von nationalem Profil“ entwickeln zu wollen.

Eine Art Underground mit Tradition

Die aktuelle Hängung zeigt, daß sie in den einsichtig durchgeführten Versuch mündete, vom Ort aus zu sammeln. Brandenburgische Künstler wie Hans Scheuerecker, Harald Schulze oder Dieter Zimmermann, dessen moritatenhafte Comics eine angenehme Unernsthaftigkeit auszeichnet, wurden um Positionen aus Dresden, Berlin, Leipzig/Halle und Chemnitz ergänzt. „Meine Freunde“ (1976) etwa von Peter Hermann, ein Tafelbild in der Tradition der Dresdener Peinture, auf dem der Künstler und seine Kollegen Strawalde, Eberhard Göschel und Peter Graf zu sehen sind, wurde auf der 8. DDR-Kunstausstellung 1979/80 gezeigt; nicht gerade groß herausgestellt, aber es konnte immerhin vor Ort für die Cottbuser Sammlungen entdeckt und erworben werden. Auch A.R. Penck, der inzwischen jede Berliner Bar und niveauvollere Kneipe bemalt zu haben scheint, ist mit einer – aus heutiger Berliner Sicht – hinreißenden, wandfüllenden Pappkarton- Arbeit aus dem Jahr 1968 vertreten, dank einer Leihgabe der Kölner Galerie Rudolf Zwirner.

Wenn nur knapp 100 Exponate einer 13.000 Werke umfassenden Sammeltätigkeit gezeigt werden können, weil die geringen 350 Quadratmeter Ausstellungsfläche nicht mehr zulassen, wie die Direktorin Reinhild Tetzlaff bedauernd bemerkt, dann scheint es nicht erstaunlich, wenngleich schade, daß in der aktuellen Ausstellung Fotoarbeiten, Künstlerbücher und Objektkunst gegenüber dem Tafelbild zu kurz kommen.

Auch die Faltrollos, die in Werkbeispielen von Olaf Wegewitz, Wolfgang Smy und Andreas Küchler die Ausstellung beschließen, bleiben der malerisch-expressiven Bildgestaltung verbunden. Trotzdem sie, vielleicht mehr als jede abstrakte Askese, Form als Politik bedeuteten, als sie Mitte der 80er Jahre bei der Coswiger Intermedia halböffentliche Furore machten (die taz berichtete über das Trash-Ereignis aus Punk, Kunst und Undergroundfilm am 24.6.85). Die Rollos runterzulassen hieß nicht unbedingt dicht zu machen. Allerdings, das billige, kommunikative, weil leicht transportable Medium entfaltete doch „nur“ jungwilde, heftige Malerei.

Dieses Festhalten an der Malerei im Osten zeigt eine beharrliche Treue zur künstlerischen Moderne in ihrer bürgerlich-liberalen Form. Ihr ist das Konzept vom großen Autoren/Künstler inhärent, dem die Tatbestände künstlerische und/ oder politische Opposition und Widerstand notwendige Bedingungen sind. Gerade auch aus diesem Grund ist dieses Konzept aber schon lange fragwürdig.

Im Bereich dieser Moderne ist die (innovative) Subversion nicht mehr zu bekommen, dazu ist sie zu gut abgesichert. Insofern läuft der Vorwurf, den Michael Freitag den Cottbuser Kuratoren in der Neuen Bildenden Kunst macht, nachträglich widerständige Sammlungen hervorzumogeln, tendenziell ins Leere. Engagiert und eigensinnig hinsichtlich der Gegebenheiten wurde der Kunstraum DDR von Cottbus aus zweifellos beobachtet, sonst fänden sich dort nicht die gezeigten, qualitätvollen Exponate. Daß die von Freitag bespöttelte „Abstraktion der Einheimischen“ weniger ein gefährliches als ein konservatives Phänomen ist, ein (dennoch durchaus sehenswertes) Arbeiten in der Tradition, scheint auch in Cottbus niemand bestreiten zu wollen.