PRI-Wahlsieg mit 197 Prozent der Stimmen

■ Mexikos Opposition startet Kampagne „gegen den Wahlbetrug“

„Gracias“, bedankt sich die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) allerorten in roten Lettern für die Treue ihres Wahlvolkes. Unterdessen aber wird es unruhig im Land: Zum Auftakt einer landesweiten Mobilisierung „gegen den Wahlbetrug“ riefen am vergangenen Sonntag die linksoppositionelle PRD und die Nationale Demokratische Konvention (CND) auf. Die CND war im August auf einem von der zapatistischen Guerilla vorbereiteten Treffen im lakandonischen Regenwald als breites Oppositionsbündnis gegründet worden.

Für das kollektive Präsidium der CND besteht kein Zweifel daran, daß man es auch 1994 mit einem „gigantischen Wahlbetrug“ zu tun habe: Ähnlich wie PRD- Kandidat Cárdenas rechnet die CND vor, daß rund 8 der insgesamt 17,3 Millionen Stimmen für die PRI gefälscht wurden: So viele WahlbürgerInnen seien von vornherein aus den Wahllisten entfernt und durch fiktive „Namensvettern“ und „Geisterwähler“ ersetzt worden.

Auch wenn bislang weder PRD noch CND Beweise für einen derart umfassenden Wahlbetrug vorgelegt haben: Der angeblich so vorbildhafte Wahlsonntag des 21. August gerät mehr und mehr in Zwielicht. Der Fall des Wahllokales Nr. 2.423 in Chiapas – den Journalisten bei einem unabhängigen Aktencheck auftaten – ist dabei keine Seltenheit: 518 WählerInnen standen auf der Liste, 420 haben davon tatsächlich gewählt, aus der Urne aber konnten 1.263 Stimmzettel gezaubert werden. 830 davon für die PRI, ganze 75 für die PRD. Diese und viele andere „Unregelmäßigkeiten“ werden jetzt von den Oppositionsparteien vor den Kadi gebracht: Allein 465 angezeigte Wahldelikte liegen dem zuständigen Sonderstaatsanwalt schon vor, das Bundeswahltribunal hat 1.300 Anfechtungen zu bearbeiten. Insgesamt hat die PRD die Wahlen in über der Hälfte der 300 Wahlbezirke angefochten.

Ob aus diesem Krieg der Zahlen auch noch ein heißerer Krieg werden könnte, ist nach wie vor offen. Der Waffenstillstand in Chiapas jedenfalls scheint prekär: Mittlerweile räumte auch Landeschef Javier López Moreno am Sonntag in einem Interview mit La Jornada ein, daß es „Anzeichen für mögliche Auseinandersetzungen“ gäbe; von „Unregierbarkeit“ – so der Landesvater beschwichtigend – könne allerdings keine Rede sein.

Das sehen die chiapanekischen Oppositionsgruppen etwas anders: Den „illegitimen“ PRI-Gewinner Eduardo Robledo Rincon wollen sie auf keinen Fall als künftigen Landeschef akzeptieren. Nach Einschätzung der lokalen Bürgerallianz „Alianza Civica“ ließe sich in Chiapas tatsächlich beweisen, daß Avendaño – selbst wenn er Robledo nicht überholen sollte – wesentlich mehr Stimmen hat, als ihm zugestanden werden. Für die Anerkennung ihres Kandidaten als „rechtmäßigen Gouverneur“ demonstrierten Mitglieder des Bauern- und Indianerverbandes Ceoic, der CND, der Landesfrauenkonvention und der PRD am „Nationalen Aktionstag“ auch in Chiapas: Die unzähligen Protestmärsche, Straßenblockaden, Brücken- und Rathausbesetzungen und Aktionen „zivilen Ungehorsams“ verliefen bislang selbst in den Konfliktzonen ohne gewaltsame Zwischenfälle.

Daß es so bleibt, ist keinesfalls gesichert. Neben der EZLN, die seit dem 22. August wieder einmal in Alarmbereitschaft ist – mit „Elite-Truppen“ der Armee werde gegenwärtig der Erstschlag gegen die Zapatistenführung vorbereitet, warnte Subcomandante Marcos in einem Kommuniqué vom Wochenende – haben sich in den letzten Wochen gleich vier neue subversive „Volksbewegungen“ zu Wort gemeldet.

Am meisten Beachtung fand dabei die „Revolutionäre Aufstandsarmee des Südostens“ (EIRS), die nach zapatistischem Vorbild letzte Woche mit einem ausführlichen Pressekommuniqué an die Öffentlichkeit getreten war, das von einem gewissen „comandante Julio“ gezeichnet ist: Darin wird die „Unabhängigkeit von der EZLN“ betont, auch wenn man „dieselben Ziele“ verfolge. Gefordert wird – neben Schulen und Krankenhäusern – ebenfalls „Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie“. Anstelle der „betrügerischen Wahlsiege“ von Zedillo und Robledo schlägt die EIRS eine „demokratische Volksregierung“ vor. Allerdings gibt sich die neugeborene Guerilla um einiges kriegerischer als ihre große zapatistische Schwester: Militärisch aktiv werde sie nicht nur bei Angriffen seitens der Armee, sondern auch, wenn ihre „Forderungen nicht befriedigend erfüllt“ werden.

Ob es sich bei der ominösen Bewegung um einen strategischen Ableger der EZLN, um eine unabhängige Gruppe oder gar um eine Erfindung der Armee oder der Viehzüchter handelt – als genehmen Vorwand für einen möglichen Erstschlag –, ist bis zur Stunde noch unklar. Anne Huffschmid