Der Stachel im Fleisch

■ Esa-Pekka Salonen beim Musikfest

Er ist Chef eines amerikanischen Eliteorchesters von Weltrang, des Los Angeles Philharmonic Orchestra, komponiert anspruchsvolle Musik und hat manchmal Heimweh nach Europa: Der Finne Esa-Pekka Salonen (35), der mit seinem Orchester und einem Programm aus Sibelius, Beethoven und Elliott Carter beim Musikfest gastiert, ist eine liebenswerte Ausnahmeerscheinung im interkontinentalen Dirigenten-Karussel, dessen musikalischer Verstand am Klang europäischer Avantgarde gereift ist.

Und alles begann so harmlos: „Das war im September 1983,“ erinnert sich Salonen, „acht Uhr in der Früh rief mich mein Manager an und fragte, ob ich Mahlers 3. Symphonie dirigieren möchte, der vorgesehene Dirigent sei plötztlich erkrankt. Ich sagte ihm, ,ruf in 2 Stunden noch einmal an', denn die Nacht zuvor hatte ich mit ein paar Freunden ordentlich gezecht. Ich ging dann zur Notenbibliothek, schaute mir die Partitur genau an und sagte dann O.K.“ Das Konzert riß die Leute förmlich aus den Sitzen und die anwesenden Orchester- und Plattenmanager leierten danach eine vielversprechende Dirigentenkarriere an.

Salonen ist jung, geradezu jugendlich und alles andere als ein Schmalspur-Karajan. Auch wenn seine Liebe euröpäischer Avantgardemusik gehört, einen Klassiker wie Sibelius 2. Symphonie dirigiert er als ein meisterliches Stück finnischer Symphonik, zeitlos, aber doch intim. Salonen entwirft ein harsches Gegenidyll, das mehr die Nähe zur Moderne ahnen läßt. Obwohl Salonen kein Programmpatriot ist, taucht in den für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich modernen Programmen des Los Angeles Philharmonic Orchestra immer wieder Musik seiner Landsleute, etwa von Kimmo Hakola, Kaija Saariaho oder Magnus Lindberg auf. Salonen ist ein intelligenter Stachel im trägen Leib der Jetset-Klassik. Sven Ahnert