Korridor durch die Hintertür

■ Druckgewerbe: Zuschlagfreie Überstunden gefordert

In Hamburgs Druckindustrie bahnt sich – zwei Monate nach dem Tarifabbschluß – ein neuer Clinch an. In mehreren Betrieben legten die Geschäftsführungen den Betriebsräten Vereinbarungen vor, mit denen die generelle Einführung von zehn zuschlagsfreien Überstunden durchgesetzt werden soll. IG Medien-Sekretär Rolf Schuhmacher: „Das verstößt gegen den Geist des Tarifvertrages.“

Am 1. April 1995 tritt für die 170.000 Drucker und Setzer endgültig die seit Jahren vereinbarte 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich in Kraft. In der schweren Tarifauseinandersetzung des Druckgewerbes in diesem Jahr war diese Arbeitszeitverkürzung von den Unternehmern jedoch wieder in Frage gestellt worden ist. Sie verlangten zumindest einen „Arbeitszeitkorridor“ bis 37 Stunden.

In zähen Verhandlungen wurde ein Kompromiß erzielt. Danach kann nach Inkrafttreten der 35-Stundenwoche in Betriebsvereinbarungen zur wirtschaftlichen Entlastungen angeschlagener Klein- und Mittelbetriebe auf die Bezahlung der Überstundenzuschlägen verzichtet werden. Schuhmacher: „Wir haben uns im Einzelfall bereit erklärt, darüber zu reden, bis zu zehn zuschlagsfreie Stunden zu genehmigen.“ Einige man sich nicht, hat die Schlichtungsstelle das Wort.

Durch die vom Verband der Druckindustrie Nord (VdDN) erarbeitete Betriebsvereinbarung möchten die Unternehmer bereits jetzt die „Rahmenbedingungen“ absichern. Außerdem sollen die Betriebsräte zugleich auf ihr Mitbestimmungsrecht bei der Genehmigung von Mehrarbeit verzichten und pauschal jeden Monat zehn zuschlagfreie Überstunden genehmigen. VdDN-Geschäftsführer Bodo Köpp: „Das soll als Ersatz für den Arbeitszeitkorridor dienen.“ Im Klartext: Die 35-Stundenwoche verkäme zur Farce, durch die Hintertür würde die 37-Stundenwoche eingeführt. Würde erst ab April 1995 die Arbeitszeit geregelt, wäre das laut Köpp „nicht im Sinne der Tarifvereinbarung.“ Denn bis eine Einigungstelle ein Votum abgebe, vergingen Monate.

Die IG Medien bleibt jedoch hart. Sie gibt nun für Betriebsräte einen Leitfaden heraus, wie diese die Arbeitsverkürzungen verteidigen können. Kai von Appen