Leben auf dem Drogenstrich

■ Sich selbst verkaufen für den nächsten Schuß: Eine Drogenprostituierte erzählt

Lena sieht aus wie 15, ist aber schon 21 Jahre alt. Belegen könnte sie das nicht, Personalausweis und Reisepaß gingen irgendwann verloren. Lena wohnt in Syke, die meiste Zeit jedoch verbringt sie in Bremen. Bahnhof, Humboldtstraße, Ziegenmarkt - Lena ist drogensüchtig und geht auf den Strich.

Vor sechs Jahren fing sie an zu sniefen. Koks. Das Heroin zog sie sich von der Folie. Den Stoff bekam sie vom damaligen Freund, einem Kurden. Als sie anfing zu spritzen, weil das Sniefen zu teuer war, hatte sie einen deutschen Freund und Dealer. Es war so einfach. Heute ist die Nase vom Koksen kaputt, die Arme übersät von Narben, und ihr Gesicht weist schwere Abschürfungen auf, die sie sich bei der Flucht vor einem Freier zuzog. „Das sieht voll Scheiße aus, ist aber schon bald vorbei“, sagt sie und puhlt an den Borken. Lena ist aufgekratzt, ist drauf, kokswach.

Friseuse wäre sie gern. Doch Lena brach die Lehre nach einem Jahr ab, weil das Geld nicht reichte. Sie ließ sich in einer Bar in Wildeshausen anlernen. „Die haben mir viel beigebracht, zum Beispiel, daß man immer freundlich sein muß zu den Männern. Das war kein Problem, ich komme gut mit Menschen klar, besonders mit Kindern,“ sagt Lena, die selbst noch als Kind durchgehen könnte. Von acht Uhr abends bis in die frühen Morgenstunden animierte sie zu Sekt und Sex. Der Piccolo brachte 60 Mark, der Mann 100. Die Hälfte der Einnahmen durfte Lena für sich behalten, sie kam am Wochenende auf 1.000 Mark. Gerade genug für den steigenden Drogenkonsum, der an ihrem Körper zehrte: „Ich war dauernd so müde. Deshalb habe ich aufgehört in der Bar.“

Lena fing an zu klauen. Lederjacken auf Bestellung, Lebensmittel für sich. Mehrfach wurde sie erwischt, beim letzten Mal erhielt sie ein Jahr auf Bewährung. „Wenn die mich packen, geh ich für ein Jahr in den Bau. Das mach ich auf keinen Fall, eher bringe ich mich um, ehrlich.“ Lena ging auf die Straße. Seit einem Jahr verdient sie ihre Tabletten, Koks und Heroin auf der Meile. „Ich hab Glück, ich komme mit wenig aus, weil ich vor kurzem einen Entzug gemacht habe.“ Das tägliche halbe Gramm Heroin kauft sie für 80 Mark.

Lena macht täglich drei bis sechs Freier, „Bankangestellte, Geschäftsleute, was so rumläuft.“ Mit diesen geht Lena in ein Parkhaus oder in die Videokabine eines Sexshops. Das belebt deren Geschäft, folglich begnügen sich die Sexshop-Besitzer mit der Kabinenmiete. Lena kann ihren Lohn, – „französisch 50 Mark, Verkehr 80“ –, behalten. Viele Männer bieten mehr, damit sie ohne Gummi arbeitet. „Ich mach das nicht, ich hab auch noch kein Aids.“ Sie kennt mindestens eine Kollegin, die es ohne Gummi macht, „aber die hat sowieso schon Aids.“ Und wie steht es mit SM-Praktiken, werden die vom Bürger verlangt? „Meinst du Natursekt?“, fragt Lena irritiert. „Also pinkeln oder so ja, das ist mir sogar lieber als Verkehr.“ Wie sie sich dabei fühlt, beschreibt sie mit einem Wort: „Eklig“ und schließt die Frage mit einem Achselzucken ab.

Einen Zuhälter hat sie trotz mehrfacher Angebote nicht, „ich würde nie mehr für einen Kerl arbeiten.“ Bedroht wurde sie von solchen Männern nicht, wohl von Freiern oder einer der etwa 10 Kolleginnen. „Ey, Alte, verpiß dich hier, sonst schlag ich dir die Fresse ein!“ stört eine dieser Kolleginnen das Gespräch. Die Frau in Begleitung eines Ledertypen, der offensichtlich nicht süchtig und ihr Zuhälter ist, bedroht das Leichtgewicht Lena. Lena flüchtet ins Eiscafé. „Die hat mich schon mal so zusammengeschlagen, daß ich eine Gehirnerschütterung hatte“, sagt Lena und schaut dauernd zur Tür. Revierkämpfe? „Ja, die will nicht, daß ich hier stehe.“ Dabei versteht Lena nicht mal, warum ihre Angreiferin noch arbeitet: „Die kriegt Pola und ackert, das würde ich nie tun.“

Wenn Lena Polamydon bekäme, die Ersatzdroge für Junkies, würde sie aufhören. Seit einem Jahr rennt sie vergeblich von einem Arzt zum anderen. Immer wurde sie weggeschickt, denn Polamydon bekommt nur, wer schwanger ist, HIV-infiziert oder anderweitig todkrank. Vor kurzem bekam Lena eine Therapiezusage. Raus will sie, mit einem dreiwöchigen Entzug jedoch, wie sie ihn in Sebaldsbrück erlebt hat, ist es nicht getan. „Der Körper ist entgiftet, aber die Droge ist noch im Kopf. Aber ob du willst oder nicht, die schicken dich nach drei Wochen einfach wieder raus.“

Was funktionieren könnte, wäre eine längerfristige Therapie. Und die muß weit weg stattfinden, auf keinen Fall in der Nähe von Bremen, sagt sie: „Ich kenne hier alle. Und ich kenne mich. Da bin ich sofort wieder drauf. Da könnte ich ja gleich am Steintor entziehen“, meint Lena. Lieber heute als morgen würde Lena nach Stuttgart gehen, wo es andere Leute gibt und Berge, doch sie muß auf einen freien Therapieplatz warten, irgendwo. Das kann dauern. Lena hofft, daß sie durchhält. Auch den einwöchigen kalten Entzug, der für eine Therapiemaßnahme vorausgesetzt wird.

„Eine schwere Aufgabe, aber ich habe einen starken Willen“, versichert sie, bestätigt durch ihren Vater: „Der glaubt an mich, obwohl ich schon viel Scheiße gebaut habe. Der sagt: Du packst das. Das braucht man in meinem Alter noch, das ist doch normal.“ Einfach nur leben, ganz normal sein, das ist Lenas großer Traum. Stinknormal wie das Blumenmuster der Sitzkissen im Eiscafé. „Sowas finde ich unheimlich schön, so freundlich.“ All das ist noch weit entfernt. Dringlicher ist für sie die Frage: Wie besorge ich morgen den Stoff?

Dora Hartmann