Zahl der militanten Rechten steigt an

Verfassungsschutzbericht 1993: 750 Neonazis und militante Rechtsextremisten in Berlin / Noch diesen Monat soll Innensenator Heckelmann der Verfassungsschutz weggenommen werden  ■ Von Dirk Wildt

Bevor Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) seine Zuständigkeit für den Verfassungsschutz abgibt, stellte er gestern den Verfassungsschutzbericht 1993 vor. Essenz des 350-Seiten-Buchs: Das Potential an Neonazis und militanten Rechtsextremisten in Berlin steigt kontinuierlich an. Betrug ihre Zahl 1992 noch 600, hat sich ihr Kreis 1993 auf 750 Personen vergrößert. Linksextremistische Organisationen konnten dagegen kaum Zulauf verzeichnen. Die revolutionär-marxistischen und trotzkistischen Gruppen stagnieren bei 700, das linksextremistische Gewaltpotential bei 1.250 Personen. Die Marxisten-Leninisten konnten ihre Mitgliederzahl von 100 auf 200 verdoppeln.

Wie bereits in dem im März vorgestellten Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) zum Rechtsextremismus, wird der Berliner Landesverband der „Republikaner“ (1.700 Mitglieder) inzwischen als rechtsextremistisch eingestuft. „Äußerungen maßgeblicher Vertreter der Rep (...) weisen Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auf“, heißt es in dem Jahresbericht. Als rechtsextrem gelten sie auch in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die „Republikaner“ dagegen nur als rechtsradikal ein. Die „Republikaner“ in Berlin werden vom Verfassungsschutz nicht nachrichtendienstlich überwacht.

Auch die PDS wird „durch die Sichtung offen zugänglicher Materialen“ beobachtet – allerdings insgesamt nicht als extremistisch eingestuft. Die 1989 innerparteilich gegründete „Kommunistische Plattform“ (KPF) erregt aber das Interesse des Landesamtes, unter anderem, weil die Plattform „ein breites Bündnis mit kommunistischen Parteien im In- und Ausland“ anstrebe. Erwähnt werden die DKP, die KPD, die Kommunistischen Parteien Chinas und Österreichs. Ende des Jahres berät das Parlament, inwieweit die Beobachtung fortgesetzt und möglicherweise ausgeweitet wird.

Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten ist von 92 im Jahr 1992 auf 75 im vergangenen Jahr zurückgegangen, die Zahl der Delikte wie Volksverhetzung und Beleidigungen dagegen von 475 auf 647 angestiegen. Das LfV hat die Zahl seiner Mitarbeiter um einen auf 260 erhöht und 2,6 Millionen Mark (ohne Personalkosten) ausgegeben.

Die Zuständigkeit für den Verfassungsschutz soll Heckelmann noch diesen Monat entzogen werden. Der Senat wird eine entsprechende Gesetzänderung in seiner nächsten Sitzung beschließen, berichtete gestern Senatssprecher Eduard Heußen der taz. Das Parlament will die Änderung kommende Woche verabschieden. Mit seiner Verkündung wenige Tage später ist dann die Senatskanzlei für das Landesamt zuständig. Als Beauftragter für das Landesamt ist der Chef der Senatskanzlei, Volker Kähne, vorgesehen, sagte Heußen. Die SPD hatte darauf gedrungen, Heckelmann das Landesamt wegzunehmen, nachdem sie mit ihrer Rücktrittsforderung gegen den Senator gescheitert war – Heckelmann hatte einen Pressesprecher beschäftigt, der Kontakte zu Rechtsextremisten pflegte, und war entsprechenden Hinweisen von Polizei und Verfassungsschutz nicht ernsthaft nachgegangen.

„Verfassungsschutzbericht 1993“: Kostenlos beim LfV, Öffentlichkeitsarbeit, Auf dem Grat 2, 14195 Berlin