Vorsicht Einbahnstraße

Die Diskussion um das interaktive Medienzeitalter kommt nicht aus den Startlöchern  ■ Von Ulla Küspert

Autobahnauffahrten sind bekanntlich Einbahnstraßen: Man muß rauf auf die Rennpiste, ob man will oder nicht. Da gibt's kein Zurück und auch kein Abbiegen. Anhalten zur Orientierung oder zum Nachdenken wird als Verkehrsverstoß geahndet.

Daß die Kommunikationsplaner den Weg zum digitalen Datenhighway genauso angelegt haben und schon auf den Zubringern nur die eine Richtung zulassen, drängt nun allenthalben zum Denk-Appell in der – vielleicht letzten – Nothaltebucht. Den jüngsten Aufruf, die mediale Zukunft doch noch einigermaßen in den Griff zu kriegen, unternahm vergangene Woche die Hamburgische Anstalt für Neue Medien (HAM). Fragestellung: „Freie Fahrt auf dem digitalen Highway oder: Hat Medienkontrolle noch eine Zukunft?“

In der feinen hanseatischen Handelskammer hatten die Veranstalter dafür über ein Dutzend Referenten aus Medien, Werbung, Politik, Rechtssprechung und Wissenschaft aufgeboten, um vor knapp 200 Gästen einen Tag lang den „offenen Dialog“ zu proben. Der Versuch mißlang. Obgleich es an Offenheit keineswegs mangelte, jedenfalls nicht seitens der Info- Autobahn-Ausstatter. Deren Ausführungen ließen sich computergerecht auf zwei Buchstaben komprimieren: „J“ für „Ja, freie Fahrt auf dem digitalen Highway“ – nämlich für sie selbst. Und „N“ für „Nein, Medienkontrolle hat keine Zukunft“, das regelt „der Markt“ schon alleine. Daß dennoch nicht nur die „J“- und die „N“-Taste gedrückt, sondern vorgetragen wurde, was Sache ist, ist dem Umstand zu verdanken, daß auch Tatmenschen der Wirtschaft ihre Sorgen gerne teilen und sei es, um dem milliardenschweren Ziel zuliebe möglichst effektvoll an der nötigen Consumer-Akzeptanz zu stricken.

Engpaß Konsument

Ein unermüdlicher Vorkämpfer in dieser Disziplin ist Michael Wölfle, Chef des Kirch-Vermarktungsunternehmens MGM MediaGruppe München. Ende Mai hatte Wölfle einen detailreichen Überblick über die weltweit wichtigsten Projekte des interaktiven Fernsehens erstellen lassen, um „zumindest für die nächsten Monate“ (!) etwas „Klarheit in einen sich schnell entwickelnden Markt zu bringen“ (siehe taz vom 25.6.). In Hamburg zeigte sich Wölfle denn auch ungebrochen fortschrittsgläubig: „Die technischen Möglichkeiten sind grenzenlos.“ Gerade in Deutschland, wo durch den Zusammenschluß der Mediengiganten Bertelsmann, Kirch und Telekom zur Media Service GmbH der Datenautobahn-Verbund komplett ist und wo es Anfang 95 mit Astra 1D erstmals einen Satelliten gibt, der durch Datenkompression ein Vielfaches an Programmen auf einmal abstrahlen kann.

Und trotzdem geht es der Wirtschaft noch zu langsam. Allein die von der Industrie genutzten Bereiche Business-TV und Info-Highway kommen inzwischen in Schwung. Auch wenn diese Neuerungen der eigentliche Hauptzweck der kapitalintensiven Übung sind, so bringen sie allein noch nicht den gewünschten Profit. Und für den Massenmarkt, der das alles finanzieren soll, seien „die realen Möglichkeiten“, so Wölfle, bislang „leider extrem begrenzt“. Obgleich Microsoft-Chef Bill Gates beispielsweise heftig daran arbeite, hielten Rechnerleistungen und Software einem millionenfachen interaktiven Zuspruch noch nicht stand, es fehle an Software und am nutzerfreundlichen „All- In-One“-Endgerät, dem Compu- Telefon-Decodier-Fernseher.

Bedeutender, weil unberechenbarer, ist allerdings der „Engpaß Konsument“: „Noch mehr Kanäle“ führen, nach bisheriger Erfahrung, offenbar nicht zu entprechend mehr Fernsehkonsum. Deshalb, so Wölfle, „freunden Sie sich mit Werbung an, es wird nicht anders gehen“. Woher man weiß, ob die Leute das alles überhaupt wollen? Nachfrage kann man nicht erzwingen, der BTX-Flop bewies es wieder. Wölfles Rezept: Man muß Bedarf wecken. Musterbeispiel: Das übers Telefonnetz transportierte Info-System „Minitel“ in Frankreich. Das gab es erst gratis, inzwischen ist es unentbehrlich. Und die französische Telecom verdient sich dumm und dämlich dran.

Pilotprojekte interaktiver Angebote, wie jenes von Time-Warner in Orlando/Florida, das gern zitiert wird, aber gerade wieder auf nächstes Jahr verschoben wurde, verfolgen denn auch, wie Rüdiger Knoblach von der Firma Silicon Graphics veranschaulichte, vorrangig das Ziel, „das Endanwenderverhalten“ auszuforschen – und die Schmerzgrenze für die Consumer-Kosten. Patrick Palombo, Chef der Interaktiven Medien bei Quelle, der an einem Teleshopping-Kanal bastelt, weiß bereits, daß man „den Kunden einen ,Mehrwert‘ bieten muß. Dann sind sie auch bereit zu zahlen.“ Und Hubert Eisner, Stabchef Neue Medien im Bauer-Konzern, setzt aufs Sinnliche: „Der Zugang zur Elektronik muß einfach sein, fair, sexy, es muß Spaß machen. Dann wird es relativ rasch gehen. Auch Telefon und PC haben sich schneller durchgesetzt als erwartet.“

Medien(dr)aufsicht

Für die Manager war damit Ende der Durchsage, den Dialog überließen die Vielbeschäftigten anderen. Sie kannten die Neuigkeit wohl schon, die Dr. Dieter Bopp, Medienreferent der Düsseldorfer Staatskanzlei, der Restversammlung verriet: Daß nämlich die Chefs der Staatskanzleien, die die Ministerpräsidentenkonferenz vorbereiten, sich kurz vor der Sommerpause auf die Lockerung des Rundfunkstaatsvertrags verständigt hatten: Da der Konzentrationsprozeß nicht aufzuhalten sei, würden die Begrenzung von Programmbesitz aufgehoben und „Senderfamilien“ grundsätzlich zugelassen. Mit anderen Worten: Die Politik drückt definitiv die Taste „J“ – freie Fahrt.

Den anwesenden Gesellschaftswissenschaftlern, Juristen und Medienaufsehern fiel dazu erstaunlich wenig ein. Unentschieden, ob man zu früh dran ist oder zu spät, versucht man die „Jein“-Taste: irgendwie ins interaktive Fernsehzeitalter, mit irgendwas an Medien(dr)aufsicht. „Der Fortschritt kommt, und wir müssen das Beste daraus machen“, faßt es Datenschützer Hans-Hermann Schrader, im früheren Beruf Medienreferent des Hamburger Senats, beherzt zusammen. Ähnlich die Empfehlungen aus der Weizsäcker-Kommission: Kommissionsmitglied Ingrid Scheithauer von der Frankfurter Rundschau wünscht sich als „medienpolitisches Frühwarnsystem“ einen Medienrat aus einigen „wirklich unabhängigen Persönlichkeiten“ (Schülerlotsen auf den Datenhighway?) und eine „Stiftung Medientest“ (Verbraucherschutz gegen Mogelpackungen?).

Unerschrockenere Denkansätze, wie sie von Wolfgang Hoffmann-Riem, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und Leiter des Hans-Bredow-Instituts, kamen, wirken da geradezu erfrischend. Hoffmann-Riem drückte als einziger souverän die Tasten in umgekehrter Reihenfolge: „Nein“ für ,Kein Freifahrtschein für den versippten Medienklüngel‘; und „Ja“ für Medienkontrolle. Letztere müsse nicht nur institutionell völlig neu organisiert werden, sondern vor allem auch ,von unten‘ stattfinden: durch öffentlichen Diskurs, durch Bürgergruppen, durch innovatives Denken bei Medienkritikern, -nutzern und -wissenschaftlern. Hoffman-Riem forderte mit Nachdruck Transparenz der Unternehmen wie der Medienpolitik ein, sogar harte staatliche Sanktionen kann er sich vorstellen, etwa Gewinnabschöpfung zum Gemeinwohl: „Nicht die unkontrollierbaren Abstrahlungen von fernen Satelliten sind das Entscheidende, die meisten Medienunternehmen wollen etwas in Deutschland. Deshalb kommt es auf die Bereitschaft an, den Unternehmen auch mal weh zu tun.“