Voll die Mystik (oder so)

■ Test the Zeitgeist: Das rundumgesponserte Jahrmarktsdörfchen „Westylonia“ ist unterwegs, um alle möglichen Sinne zu betören

Der König der Gaukler ist in der Stadt. Listenreich hat er seine Budenstadt bereits sechs Wochen vor Jahrmarktsbeginn auf der Bürgerweide aufgeschlagen. Prächtig ragt schon das pseudo-antike Portal auf, Plastik und Prunk zugleich – eine furiose Mischung aus Großartigkeit und Erbärmlichkeit, dem neugierigen Jahrmarktsvölkchen von Anfang an bedeutend, daß es hier kunstvoll übers Ohr gehauen wird. Und zwar vom „Magier der mythischen Kräfte“, der da heißt: Sylvester Antony; Künstler, Macher, Schwadronierer, vor allem aber Herrscher über „Westylonia“. So nennt er seinen Budenzauber, seine wunderbare Illusionsmaschine, die allen alles verspricht und wirklich gar nichts hält.

Denn „Westylonia“, das ist erstmal nur ein Häuflein Industriecontainer. Fünf Stück an der Zahl. Darinnen hat der Meister eine Geisterbahn für Fußgänger eingerichtet und das Ganze mit gekonnt veralberten Esoterikfloskeln umsponnen: „Mythische und mystische Elemente früherer Kulturen“ kämen hier zusammen, „alternative Weltbeschreibungen und Zukunftsvisionen“, die dem Publikum „ein Comeback der Intuition“ ermöglichen sollen, irgendwie. Schließlich sind Gefühle in der Werbung wieder angesagt. Aber nicht nur dem Publikum, auch dem Sponsor West gefällt's. Dem zog der Meister das Geld für zwei Jahre „Projektentwicklung“ aus der Tasche. Nun heißt die Kistenstadt „Westylonia“ und die Geisterbahn „West Sensual Zone“.

So trollt sich das Jahrmarktsvölkchen durch die Container, um sich mal so richtig mystisch-mythisch zu fühlen oder was. Auch Frau Moltau, die alerte PR-Dame von „West“, ist begeistert. Sie fand Antonys Idee ja gleich toll, „eine Verstaltung mit den fünf Sinnen zu machen“. Ihr persönlicher Lieblingscontainer ist der, in dem der Tastsinn angerührt wird: „Ballpool“ hat der Meister das Kabuff getauft, in dem sich der Sinnenreisende in einem Haufen Plastikkugeln wälzen darf. So billig kann der Mythos sein, wenn mann eben nur ein Gaunergenie wie Antony ranläßt: „Ich stelle eben alles in Low-Tech dar“, sagt er versonnen. Wozu den modernen Virtual-Reality-Schwindel auffahren, wenn's auch ein paar Plastikkugeln tun?

Denn so ist die ganze, herrliche Gauklerwelt von „Westylonia“: Mit Schaumstofflappen, Disco-lichtgeflacker und Windmaschinen werden hier zwar nicht die Sinne stimuliert, aber doch die Illusion einer tollen Show erzeugt. Denn für alles hat der Meister eine hübsche Symboldeutung, oder zumindest einen angesagten Slogan parat. Die dustere Kammer im ersten Container? „Das ist der Schöpfungsmythos“, sagt Antony; hier langt der Mensch „aus dem Dunkel des Bewußtseins“ ans Licht. Der kaputte Kühlschrank im nächsten Container? „Das ist archaischer Schrott“ und weist auf die „Archetypen von Jägern, Sammlern und Kriegern“ hin. Und das rosenduftgeschwän-gerte Schlafzimmer, auch symbolisch? Etwa erotisch? Genau: „Das ist die Parzival-Situation“, dräut der Meister, „die Suche nach dem Gral, nach der Kraft des Eros und der Erleuchtung...“ – und so fort.

So kommen Yin und Yang, Wagner und West, Kunst und Geld zusammen unterm Zirkuszelt. Und auch: Erfüllung und – Enttäuschung, doch, doch. Denn, so argumentiert Antony mit doppelter, unübertrefflicher List: „Enttäuschung gehört immer zur Gralssuche dazu.“ Thomas Wolff

„Westylonia“, bis 11.9. auf der Bremer Bürgerweide, 10-22 Uhr