Den frischen, hippen Kick gab's erst am Ende

■ Die „Jazz Night“ der Trompetentage im Aladin: hausbacken und brav, bis dann Clark Terry kam

Der vierzehnjährige Miles Davis war beeindruckt: in seiner Schule lief der sechs Jahre ältere Clark Terry mit einem „tollen Mantel, einem scharfen wunderschönen Schal“ und „einem scharfen Hut, schräg zur Seite gekippt“ herum. Davis sah sofort an „seinen schrillen Klamotten, daß er Trompeter sei“, und damals beschloß er, daß er „genauso hip sein wollte“ wie Clark Terry. So schreibt Davis in seiner Autobiographie, und obwohl bei dieser Erinnerung an die erste Begegnung der beiden Trompeter nicht ein Wort über Musik verloren wird, beschreibt er sehr genau das Lebensgefühl, aus dem heraus diese Musik entstand.

Heute gibt es unüberschaubar viele Arten von Jazz: Dixieland, Swing, Fusion und HipHop werden gespielt und haben eine meist sehr spezialisierte Gefolgschaft. Aber einen gemeinsamen Nenner gibt es immer noch: wenn es überhaupt nicht mehr scharf, schrill, schräg und hip klingt, wo ist denn dann der Jazz geblieben?

Am Dienstag abend mußte man lange auf ihn warten. Die „Bobby Burgess' Big Band Explosion“ eröffnete den Abend mit einigen angestaubten Swingarrangements, die so brav und ordentlich heruntergespielt wurden, daß man eher an Paul Kuhn als an Duke Ellington erinnert wurde. Als nach etwa 30 Minuten dann Bobby Shew die Leitung der Band und fast alle Soloparts übernahm, wurde das Konzert etwas interessanter – die Band spielte disziplinierter und Shew hatte einen strahlend sauberen Klang auf der Trompete. Aber selbst sein Auftritt wirkte meist allzu routiniert und akurat. Nur vereinzelt blitzte bei ihm etwas Spielfreude und Originalität auf, etwa bei einer neu komponierten Ballade und besonders bei Billy Strayhorns „Lush Life“. Hier hatte man zum ersten Mal an diesem Abend das Gefühl, keinen altmodischen, tausendmal gespielten Standard, sondern einen zeitlos schönen Song zu hören.

Nach der Pause ging es dann recht hausbacken weiter mit der „Downtown Big Band“. Die jungen norddeutschen Musiker präsentierten unter der Leitung von Bob Lanese Kompositionen von Ellington und Strayhorn wie liebevoll restaurierte Antiquitäten. Auch die Sängerin Romy Camerun gab der Band nicht den nötigen Kick. Thelonious Monks „Round Midnight“ sang sie nett und gefällig – aber mehr war da nicht. Man mußte lange warten, bis kurz vor elf Uhr Clark Terry endlich Schwung in die Bude brachte. Und er bewies gleich vom ersten Ton an, daß es im Jazz nicht wichtig ist, was man spielt, sondern wie man es interpretiert. Das gleiche Material – meist Kompositionen aus Ellingtons Songbook – klang plötzlich aufregend, frisch und hip.

Auch mit 74 Jahren hat Terry noch seinen brillianten, klaren Ton – und das ist bei Trompetern, die schnell und endgültig ihre „chops“ verlieren können, alles andere als selbstverständlich. Auf der gestopften Trompete und dem Flügelhorn spielte Terry brilliante Improvisationen, und mit einer Sambaversion der „Sophisticated Lady“ oder der Komposition eines Bandmitgliedes meisterte er auch für ihn neues Material. Nebenbei sang er noch, parodierte dabei ein paar Takte lang Louis Armstrong, und spielte als Schabernack auch mal das Flügelhorn mit den Ventilen nach unten.

In der letzten knappen Stunde wurde diese Jazz Night dann doch noch ihrem Namen gerecht. Beim abschließenden Ellingtonsong wurden dann auch Romy Camerun, Bobby Shew sowie ein junger unbekannter Trompeter auf die Bühne geholt und zusammen jammten sie so spontan, unordentlich und schräg, daß man darüber die allzu zähe Anlaufzeit des Abend fast vergaß.

Willy Taub