Umbenennung der Umbenennung?

■ Die BVV von Mitte entscheidet heute auf Antrag der PDS über Rückbenennung der Tor- in Wilhelm-Pieck-Straße

Wenn Lokalpolitik mit Einheitslyrik gekreuzt wird, kommen solche Sätze heraus: „Berlin-Mitte ist jetzt die Mitte aller Deutschen.“ Staatssekretär Kal Hennig aus dem Verkehrssenat, der diesen schönen Spruch am Dienstag abend im B1-Magazin „Berliner Platz“ über den Sender schickte, war jedoch nicht der einzige, der in der Studiodiskussion um die Umbenennung der Wilhelm-Pieck- Straße in Mitte gegen die unermüdlichen Namensverteidiger wetterte. CDU-Fraktionär Günther Töpfer aus dem Abgeordnetenhaus hätte auf Wunsch die ganze Sendung über von den „Schweinereien Piecks gegenüber anderen Menschen“ berichten können. Dazu kam es jedoch nicht, weil zuerst der Grundsatzstreit um die Demokratie der Jetztzeit anstand. Denn jene scheint, was die Ostberliner Straßenbeschilderung betrifft, arg in die Sackgasse gekommen zu sein. Meinen zumindest etliche Anwohner der früheren Pieck- und seit einigen Wochen wieder Torstraße sowie die PDS-Fraktion von Mitte. Die setzt nämlich das Thema heute erneut auf die Tagesordnung der Bezirksverordnetenversammlung. Die GenossInnen beantragen zum einen die Umbenennung der Umbenennung, also zurück in Wilhelm- Pieck-Straße. Und zweitens soll sich das Bezirksamt beim Senat für eine Ergänzung des Straßengesetzes stark machen, wonach vor beabsichtigten Straßennamensänderungen stets Anwohner und Gewerbetreibende gefragt werden müssen. Sollte der Senat gegen deren Willen sowie den von BVV und Bezirksamt trotzdem Straßen umbenennen, verlangt die PDS eine Erstattung der den Anwohnern und dem Bezirk entstehenden Kosten. Die schrauben sich laut manchen Geschäftsleuten nämlich in teilweise existenzbedrohende Höhen. Der Optiker Frank Hübner rechnet beispielsweise vor, daß ihm durch zusätzliche Ausgaben für Briefbögen, Formulare und Werbemittel 25.000 Mark Schaden entstehen. Wegen des zuletzt permanent gesunkenen Umsatzes könne er das kaum verkraften. Hübner hatte deshalb mit anderen Umbenennungs-Unwilligen aus seiner Straße eine Bürgerinitiative gegründet.

Den von der Schilderstürmerei bedrohten Bürgern und Geschäftsinhabern war freilich erst relativ spät die Idee zu geordnetem Aufbegehren gekommen. Nur wenige Tage vor dem offiziellen Vollzug des Namenswechsels am 25. Juli hatte Hübner Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Den im Dezember 1993 von der BVV Mitte beschlossenen und mittlerweile schon rechtskräftig angekündigten Akt konnte er jedoch nicht mehr verhindern. Statt dessen mußte er sich vom SPD-Bezirksverordneten Peter Armélin, einem Mitglied der Straßennamenkommission der BVV Mitte, vorhalten lassen, daß er sich doch hätte denken müssen, daß der Stalinist Pieck nicht mehr lange im Herzen Berlins geehrt werden würde. Deshalb hätten die Geschäftsleute auch beizeiten selbst erkennen müssen, „daß man in Drucksachen mit der Bezeichnung Wilhelm-Pieck- Straße nicht in dieser Größenordnung investieren sollte“. Ein netter, kostenloser Tip, der nichts mehr nützte.

Natürlich geht es bei dem ganzen Streit um die unschicklichen Straßennamen nicht nur um die teilweise Aushebelung des Bezirksrechts durch den Senat, bloß weil dem Bundeskanzler die Zumutung von Fahrten durch eine Wilhelm-Pieck-Straße erspart bleiben soll. Hinter der Debatte steckt auch der obligatorische Ost- West-Clinch. Während die Ostler nicht mal ihre Clara-Zetkin-Straße behalten dürfen sollen, überstehen auf Westgebieten ungestört ein Hindenburgdamm und eine Reichssportfeldstraße jede Stadtplanaktualisierung.

Die Anwohner in der Torstraße helfen sich im Moment auf ihre Weise. Trotzig haben sie einige der neuen Straßenschilder abmontiert und die alten – überklebten – gesäubert. So wohnen sie wieder in der Wilhelm-Pieck-Straße. Gunnar Leue