Eingreifende Videos

■ Ein kurzer Traum vom besseren Fernsehen - das achte Freiburger Video Forum

Der Zeitrahmen des Freiburger Forums ist so klein wie sein Etat: Donnerstag abend beginnt's, am Sonntag nachmittag ist alles vorbei, einschließlich Preiszeremonie und Bürgermeisterempfang, auch sie eher klein und unprätentiös.

Tatsächlich gehen in der Alternativen-Hochburg in Deutsch- Südwest die Festivaluhren anders. Wenn es das Video Forum nicht gäbe, müßte es erfunden werden. Allein schon seines unübertroffen diskutierwütigen Publikums wegen. Die Veranstalter – das Kommunale Kino und die Medienwerkstatt – sollten die Freiburger Videogucker endlich einmal mit dem „Eisernen Konrad“ auszeichnen: für standhaftes Sitzfleisch. Doch auch die Preisvergabe funktioniert hier anders. Der „Eiserne Konrad“ – jene voluminöse Schrottplastik – wird nicht von einer bestellten Jury, sondern vom Publikum selbst vergeben.

Auch dieses Jahr kamen die meisten Tapes aus der BRD, der Schweiz und Österreich. Längst wirken die Videos nicht mehr alternativ-selbstgestrickt, ganz selbstverständlich gehen die Macher inzwischen mit den neuesten Geräten um, erliegen kaum mehr der Faszination technischer Spielereien. Alles in allem bildeten informative Bänder das Rückgrat des Forums. Videofilme, die fürs Fernsehen produziert, von ihm finanziert wurden. Freiburg ist, eher noch als Duisburg, der Ort, wo unangepaßte TV-Publizisten die Öffentlichkeit finden, die die Sender- Oberen ihnen verweigern. Oliver Tolmein gehört dazu, dessen „Frei, gleich und selbstbewußt“ die Erfahrungen einer USA-Reise verarbeitet und militant auf Gleichberechtigung der Behinderten pocht. Tolmein, im Vorjahr schon beim NDR wegen seiner Interviews mit RAF-Häftlingen angeeckt, bekam wegen dieses Bandes erneut Probleme mit dem Sender.

Schlimmer noch erging es Peter Krieg, kritischer Dokumentarist („Septemberweizen“) und Mitbegründer des Ökomedieninstituts. Sein „Addio Afrika?“ über fehlgehende Entwicklungshilfepolitik, für einen arte-Themenabend vom SWF in Auftrag gegeben, wurde bis heute nicht gesendet. Krieg übt in seinem Film fundamentale Kritik, wagt gar das Reizbekenntnis zu Marktwirtschaft und Eliten in Afrika. Was in Freiburg natürlich für erbitterte Debatten sorgte. Doch Krieg und Tolmein gefallen sich eben nicht nur in der provokativen Pose, sie sind positive Unruhestifter. Und sind dabei leider immer noch urdeutsch: ernsthaft, eifernd und humorarm.

Daß es anders geht, humorvoll, weitherzig, bewies „Babylon 2“ vom Irak-Schweizer Samir. In dem voll digital produzierten Video reden Jugendliche der zweiten Einwanderergeneration in der Schweiz, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, in reinstem Züri- beziehungsweise Baseldütsch und welschem Argot. Den Zweifel, welcher Kultur sie angehören, löst zum Teil die Musik für sie auf. Sie verhilft dem Video zu hinreißendem Rhythmus und Tonfall.

Gegen ein derart dicht und virtuos gewebtes Gesellschaftsstück kommt eine fiktive Nonsensgeschichte wie der von den begnadeten Videodilettanten Böffgen und Raffeiner gefertigte „Fluch des Bumerangs“ kaum an. Es ist schon sehr witzig, wie sie sich mit ihren umherfahrenden High-8-Kameras durch eine abstruse Story von Kinofilmlänge wienern. Ein Moment puren Quatsches, in einem Programm, das sonst von Themen wie Ausländerfeindlichkeit, Rechtsradikalismus und Aids bestimmt war. Freiburg, das war wieder mal ein 76 Stunden kurzer Traum vom eingreifenden Fernsehen. Danach hat uns die Wirklichkeit wieder. Til Radevagen