Mobutu und die Macht des Geldes

■ In Zaire herrscht seit fast dreißig Jahren Präsident Mobutu - und wenn es nach ihm geht, soll es auch so bleiben / Die Forderung nach mehr Demokratie wird lauter / Regierungschef Kengo hat ebenfalls Problem

Kinshasa (taz) – Zwei pralle Säcke werden in das Büro gezogen. Türen dicht – es sind Geldsäcke. Jetzt wird gezählt. Gebündelt sind immer 500 Scheine à 500 Neuer Zaire, das ergibt jeweils einen Stoß von zehn Zentimeter Höhe. Davon liegen jetzt ungefähr 160 Packen herum. Das ist nicht die Beute eines Banküberfalls, sondern die Einnahme eines Kaffeehändlers in Kinshasa. Ein Geldpacken ist heute gerade 250 Mark wert, in acht Wochen wahrscheinlich nurmehr die Hälfte.

Die Währungsreform Anfang des Jahres hat die rasante Geldentwertung in Zaire nicht aufhalten können. Kein Wunder, gerade am vergangenen Freitag sind 30 Tonnen Falschgeld, in Argentinien und Brasilien gedruckt, auf den Schwarzmarkt in Kinshasa geworfen worden. Der Deal einer libanesischen Firma ist aufgeflogen.

Wer aber sind die Drahtzieher? Bisher war die Inflation hausgemacht, das Mobutu-Regime finanziert sich gerade seit 1990 über die Notenpresse, neben Gold-, Diamanten- und Waffengeschäften sowie Plünderungen der Staatskasse. Dem hat die seit Mitte Juni amtierende Regierung von Premierminister Josef Kengo-Wa-Dondo von der Union des Démocrats Indépendents (UDI) einen Riegel vorgeschoben: Bankchef Ndiang Kabul ist seit Ende Juli gegen den Widerstand des Präsidenten Mobutu Sésé-Séko vom Dienst suspendiert. Unter Ndiangs Regie sollen von Januar bis August 850 von 935 Millionen Dollar aus den Kassen der Zentralbank verschwunden sein.

Vom Nutzen einer gutbezahlten Garde

Doch hinter der „Affäre Ndiang“ steht ein großes Fragezeichen: Bankkreisen zufolge – auf die sich sowohl dem Präsidenten nahestehende Zeitungen als auch der Oppositionspolitiker Etienne Tshisékédi von der Union pour la Démocratie et le Progrès Social (UDPS) beziehen – sind im besagten Zeitraum maximal 100 Millionen Dollar in die Kassen gekommen. Wie konnte dann die achtfache Summe veruntreut werden?

Klar aber ist, daß geklaut wurde, und das von höchster Stelle. Die Kampagne, die von drei Zeitungen lanciert wurde, welche von Anhängern des Premierministers finanziert werden, zielt gegen Präsident Mobutu, dem der Geldhahn abgedreht werden soll. Dabei ist die Kontrolle der Staatsfinanzen aber nur ein Aspekt im derzeitigen Kräftespiel zwischen dem Präsidenten, der seit 1965 Zaire regiert und nicht abtreten will, und der Regierung von Kengo, der von der moderaten Opposition sowie Mobutisten im Übergangsparlament (HCR-PT, Haut Conseil de la République – Parlément de Transition) gewählt wurde.

Um wieder in den Kreis der Entwicklungshilfeempfänger und kreditwürdigen Länder aufgenommen zu werden – die offizielle Entwicklungszusammenarbeit mit EU und USA ist seit 1991 eingestellt, sogar Weltbank und IWF haben die Beziehungen zu Zaire Anfang 1994 gänzlich gekappt – muß die Regierung neben den Staatsfinanzen den seit Januar 1993 blockierten Demokratisierungsprozeß voranbringen und ihre Menschenrechtsbilanz verbessern.

Aber wie? Seit der politischen Öffnung der Diktatur im April 1990, als Mobutu das Ende der Einparteienherrschaft verkündete, hat es immer wieder Anschläge gegen Oppositionelle gegeben, andere wurden willkürlich verhaftet und gefoltert. Erst Anfang August kamen vier Dissidenten nach eineinhalb Monaten Haft frei. Sie beklagten Folter und sexuelle Übergriffe in den Gefängnissen.

Die Situation hat sich insgesamt zwar verbessert, doch ist der Einfluß der Regierung begrenzt. Denn Mobutu stützt sich auf Sondereinheiten, auf die er nicht verzichten wird: Die Präsidialgarde, der militärische Abschirmdienst und die Garde Civil sind wie die Geheimdienste im Vergleich zur gewöhnlichen Armee gut ausgestattet und bezahlt. Der Präsident hat fast alle Posten mit Soldaten aus Equateur, seiner Heimatregion, besetzt. Viele der mittleren und höheren Führungspositionen hat er zudem Verwandten oder zumindest Mitgliedern aus seiner Ethnie (Ngbandi) zugeschanzt.

Und wie soll die Regierung den Demokratisierungsprozeß voranbringen, wenn fundamentale Bürgerrechte nicht einklagbar sind? Vor drei Wochen hatten die Gewerkschaften zum Streik der Beamten aufgerufen, deren Gehälter bereits neun Monate lang nicht mehr ausgezahlt wurden und die zudem durch die Hyperinflation aufgezehrt sind: Ein Basisgehalt beträgt heute umgerechnet zwei Mark. Ein Brot kostet zehn Pfennig. Die Kundgebung wurde verhindert, ein Gewerkschaftsführer und einige Oppositionspolitiker wurden verhaftet.

Die Regierung von Premierminister Kengo soll außerdem, wie es die Übergangsverfassung vorsieht, bis Mitte 1995 Wahlen organisieren. Ein schwieriges Unterfangen, selbst mit massivem internationalen Beistand: Zaire ist das drittgrößte Land Afrikas, viermal größer als Frankreich. Ganze Regionen sind nicht zugänglich, die Infrastruktur liegt darnieder, und das Kommunikationsnetz funktioniert selbst in der Hauptstadt kaum. Wählerverzeichnisse existieren nicht, die Verwaltung ist durch die politische Besetzung der Gouverneursposten aller zehn Regionen Zaires manipulierbar, und in den Grenzregionen zu Ruanda sind Wahlen wegen der Flüchtlinge kaum durchführbar. „Mobutu wird betrügen“, glauben fast alle.

Die Regierung Kengo hat außerdem ein Legitimitätsproblem: Kengo – bereits dreimal unter Mobutu Premierminister – wird zwar in internationalen Kreisen als kompetenter Finanzfachmann eingestuft, von der Mehrheit der Bevölkerung jedoch als Regierungschef nicht akzeptiert. Die jetzige Regierung sei das Resultat eines faulen Kompromisses zwischen moderater Opposition, Mobutisten und der „Troika“ aus USA, Belgien und Frankreich. Bei diesem Übereinkommen sei die Radikalopposition um Etienne Tshisékédi, der sich noch heute als von der Nationalkonferenz gewählter und daher legitimer Premierminister begreift, über den Tisch gezogen wurde.

Kengos Kabinett besteht außerdem aus altgedienten Parteigängern Mobutus. Vor allem Finanzminister Pay-Pay hat sich als langjähriger Zentralbankchef erheblich bereichert, wie in der „Kommission zu Fragen unrechtmäßig angeeigneter Vermögenswerte“ 1992 zu Tage kam.

Viele hängen einer Verschwörungstheorie an: Wie trojanische Pferde habe Mobutu seine Vertrauten in die Opposition eingeschleust, um diese schließlich zu sprengen. Beweise dafür? Im neuen Übergangsparlament, in dem der Hohe Rat der Republik (HCR), das aus der Nationalkonferenz hervorgegangene Gremium, mit dem von Mobutu wiederbelebten alten Parlament verschmolzen wurde, hätten nun die Mobutisten die Mehrheit, meint etwa Lambert Mende, Informationsminister von Tshisékédi. „Viele Abgeordnete stehen auf den Gehaltslisten von Mobutu“, bestätigt ein Parlamentarier. Die politische Klasse sei wegen der wirtschaftlichen Misere so anfällig für Korruption, die wenigsten seien ökonomisch selbständig.

Bewährtes Hausrezept des Präsidenten

So erklärt sich auch ein zairisches Phänomen: Selbst langjährige Oppositionelle kehren in den Schoß Mobutus zurück. Die Bestechung – im Zweifelsfall geht es um Villen, große Autos oder Koffer voller Geld – ist eines von Mobutus altbewährten Hausrezepten. So hält er sich bald 30 Jahre an der Spitze des zentralafrikanischen Staates.

In den Augen der Bevölkerung ist auch Erzbischof Monsengwo, wichtigster Vermittler zwischen Mobutu und der Opposition, seit Anfang 1990 diskreditiert. Er war Mitinitiator des „dritten Weges“, der Kengo ins Amt brachte. „Monsengwo hatte einen geheimen Pakt mit der verarmten Bevölkerung. Nun hat er zu eng mit Mobutu und Kengo zusammengearbeitet. Er kann sich in Kinshasa nicht mehr sehen lassen“, meint der Professor. Monsengwo zieht sich jetzt von der Politik zurück.

Etienne Tshisékédi gehört deshalb zu den wenigen, die als persönlich glaubwürdig gelten. Er ist Symbol und Hoffnung für einen friedlichen Systemwechsel, weil er seit 14 Jahren beständig in Opposition zu Mobutu steht. Mit 70 Prozent wurde er in der Nationalkonferenz im August 1992 zum Übergangspremier gewählt, von Mobutu am Regieren gehindert und vier Monate später illegal entlassen. Tshisékédi führte dennoch über ein Jahr lang eine Regierung, die zwar international anerkannt war, doch die Regierungsgeschäfte in Kinshasa verwaltete nicht er, sondern eine von Mobutu eingesetzte Gegenregierung.

Tshisékédis Vorteil, seine Standhaftigkeit, scheint aber zugleich sein Problem zu sein. Er gilt als unflexibel, manchmal stur: Die „Troika“ hat auch deshalb den „dritten Weg“ mit Kengo als Regierungschef gefördert. Jetzt tagt Tshisékédi mit seinen Ministern jeden Donnerstag in seiner Residenz. Doch ohne internationale Unterstützung und Einfluß im derzeitigen Kräftespiel zwischen der Kengo-Regierung und Mobutu, sind die bisher von der radikalen Opposition organisierten Aktionen ohne großen Erfolg geblieben. Sie hatten unter anderem zu passivem Widerstand und dem Boykott der staatlichen Diamantenmine im Kasai, der Region Tshisékédis, aufgerufen, der derzeit wichtigsten Einnahmequelle des Staates.

So steinig der Weg auch ist: In Zaire sind erste Schritte zur Demokratisierung gemacht worden. Neue Organisations- und andere demokratische Freiheiten haben – zumindest in der Hauptstadt – neue Strukturen entstehen lassen, die aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind. Die Bevölkerung hat das Mobutu-Regime als Ursache ihrer Misere identifiziert und fordert einen politischen Wandel. Auch wenn die extreme Armut und der tägliche Kampf gegen den Hunger das Verlangen nach Demokratie manchmal in den Hintergrund treten lassen. Daniel Stroux